Ein mörderischer Sommer
möglich zu klingen. »Ein paar Untersuchungen können doch nicht schaden.«
»Na gut«, erklärte Eve sich nach einer längeren Pause einverstanden.
»Natürlich«, fuhr ihre Mutter sie an, »wenn sie es sagt, tust du es. Als ich dich darum bat, was habe ich da zu hören bekommen?«
»Ich sagte, daß ich zum Arzt gehen werde. Das wolltest du doch hören, oder?«
Mrs. Cameron wandte sich plötzlich an Joanne. »Wie geht es deinen Töchtern?« fragte sie, abrupt das Thema wechselnd.
»Sie sind brave Kinder«, sagte Joanne lächelnd. »Wie Eve.«
Eve lachte; ihre Mutter nicht. »Ja, ja, haltet nur zusammen, wie ihr es immer getan habt. Joanne, sag mir – ist es etwa falsch, daß ich mir Sorgen mache, wenn meine Tochter ins Krankenhaus gebracht werden muß – und zwar von ihrem Mann, der, wie wir alle wissen, nicht gerade übervorsichtig ist? Der, im Gegenteil, seiner Frau zuwenig Beachtung schenkt!«
»Mutter …«
»Ja, ich weiß, es geht mich nichts an. Sagen deine Töchter auch, daß ihre Angelegenheiten dich nicht zu interessieren haben?«
»Mrs. Cameron«, begann Joanne, »ich kann mit Eve zum Arzt fahren, wenn Sie das beruhigt.« Sie wandte sich an Eve. »Wann ist dein Termin?«
»Freitag vormittag.« Sie zwinkerte. »Damit wir unsere Tennisstunde nicht versäumen.«
»Tennis!« begann ihre Mutter zu schimpfen. »So kurz nach der Fehlgeburt schon Tennisspielen! Wahrscheinlich kommen daher die Schmerzen.«
»Fang nicht wieder davon an«, bat Eve. »Die Fehlgeburt war vor sechs Monaten, und seitdem habe ich eine einzige Tennisstunde gehabt, gestern nachmittag.«
»Du arbeitest zuviel, du gehst in zu viele Seminare.«
»Ich bin Lehrerin, Mutter.«
»Professorin«, korrigierte ihre Mutter und warf einen Blick zu Joanne hinüber, um zu prüfen, ob der Unterschied deutlich geworden war. »Psychologin.«
»Ich arbeite nicht zuviel. Freitags habe ich frei. Und abends gehe ich in ein paar Extra-Seminare.«
»Für was mußt du denn noch in Seminare gehen? Du bist vierzig Jahre alt, du brauchst Kinder, keine Doktortitel. Ist es vielleicht falsch, sich Enkel zu wünschen?«
»Darüber will ich nicht sprechen!« rief Eve und schlug mit der Faust auf den Tisch. »Du machst mich verrückt, Mutter!«
»Ja, ja, gib nur deiner Mutter alle Schuld. Joanne, reden deine Töchter auch so mit dir?«
»Ich glaube, jeder sagt manchmal etwas zu seiner Mutter, was er hinterher bereut.«
»Sag mal«, fuhr Mrs. Cameron fort, »wie geht es deinem Großvater?«
»Recht gut. Ich besuche ihn heute nachmittag.«
»Siehst du!« sagte Eves Mutter. »Joanne ist ein verantwortungsbewußtes Mädchen. Ihr muß man nicht sagen, daß sie älteren Menschen Respekt entgegenzubringen hat.«
Joanne sah zu Eve hinüber und rollte mit den Augen; Eve streckte als ›Antwort‹ die Zunge heraus.
»Macht euch nur lustig. Ich gehe jetzt fernsehen. Ruft mich, wenn ihr etwas braucht. War nett, dich wieder mal zu sehen, Joanne.« Sie war schon fast an der Tür, als sie sich plötzlich umdrehte. »Bitte, sprich mit ihr, Joanne. Sag ihr, daß ich nicht ewig dasein werde.«
»Jedenfalls lange genug, um mich in den Wahnsinn zu treiben«, rief Eve ihr nach, während die Frau im Nebenzimmer verschwand. »Über wen will sie sich eigentlich lustig machen? Sie hat schon drei Männer unter die Erde gebracht. Die überlebt uns alle!«
»Sie hat sich überhaupt nicht verändert«, meinte Joanne. »Du müßtest dich inzwischen eigentlich an sie gewöhnt haben.«
»An manche Dinge gewöhnt man sich nie«, sagte Eve, und sofort wußte Joanne, daß zu diesen Dingen auch Pauls Weggang gehörte. »Du siehst müde aus«, meinte Eve plötzlich.
»Irgendein Idiot hat mitten in der Nacht angerufen und dann aufgelegt«, erzählte Joanne. »Eve …«
»Du glaubst nicht, daß diese Schmerzen etwas mit der Fehlgeburt zu tun haben könnten, oder?« unterbrach Eve. Sie sah sehr zerbrechlich aus.
»Was meinst du damit?«
Eve versuchte zu lachen. »Na ja, möglicherweise haben sie irgend etwas in mir liegenlassen, nachdem sie mich ausgeräumt hatten. Ich habe doch ziemlich viel Blut verloren …«
»Ich bin ganz sicher, daß sie nichts in dir vergessen haben«, versicherte Joanne. Langsam bekamen die Wangen ihrer Freundin wieder ein bißchen Farbe. »Wenn es tatsächlich so wäre, würdest du bereits nicht mehr leben.«
»Danke«, sagte Eve lächelnd. »Du hast es immer schon geschafft, mich aufzumuntern.«
Das Baycrest-Pflegeheim war ein alter Ziegelbau,
Weitere Kostenlose Bücher