Ein Moment fürs Leben. Roman
anderem Zeug abgelenkt – mit dem Leben meiner Freunde, Problemen bei der Arbeit, mit meinem immer klappriger werdenden Auto, all so was. Mein Leben dagegen hatte ich komplett ignoriert. Und jetzt hatte es mir geschrieben und mich zu einem Treffen bestellt. Es blieb mir im Grunde gar keine andere Wahl, als seiner Bitte nachzukommen und ihm von Angesicht zu Angesicht gegenüberzutreten.
Kapitel 2
Mir waren ähnliche Vorkommnisse schon zu Ohren gekommen, deshalb regte ich mich auch nicht besonders auf. Ich rege mich ohnehin nicht so leicht auf, dafür bin ich einfach nicht der Typ. Mich wundert eigentlich so schnell nichts. Vermutlich weil ich so ziemlich alles für möglich halte. Vielleicht klingt das jetzt, als wäre ich gläubig oder so, aber das stimmt eigentlich nicht. Ich versuche es mal anders auszudrücken: Ich akzeptiere, was passiert, ganz egal, was es ist. Deshalb fand ich es zwar ungewöhnlich, aber nicht wirklich überraschend, dass mein Leben mir Briefe schrieb. Es war mir hauptsächlich lästig. Denn ich wusste ja, dass mein Leben eigentlich sehr viel von meiner Aufmerksamkeit brauchte, aber wenn es einfach für mich gewesen wäre, diesen Anspruch zu erfüllen, dann hätte ich den Brief ja gar nicht erst bekommen.
Ich schlug das Eis vom Gefrierfach des Kühlschranks mit einem Messer ab und befreite mit blauer Hand eine Cottage Pie. Während ich darauf wartete, dass die Mikrowelle piepte, aß ich eine Scheibe Toast. Und einen Joghurt. Weil mein Essen immer noch nicht fertig war, leckte ich den Deckel ab und beschloss, dass das Eintreffen des Briefs eine gute Entschuldigung dafür war, eine Flasche Pinot Grigio für 3,99 € zu öffnen. Dann kratzte ich das restliche Eis vom Gefrierfach. MrPan rannte entsetzt davon und versuchte sich in einem rosa, mit Herzen verzierten Gummistiefel zu verstecken, an dem noch reichlich Schlamm von einem Musikfestival im Sommer vor drei Jahren klebte. Ich ersetzte eine Weinflasche, die ich im Gefrierfach vergessen hatte und die zu einem eisigen Alkoholklotz erstarrt war, mit einer frischen Flasche. Diesmal würde ich den Wein nicht vergessen. Auf gar keinen Fall. Immerhin war es die letzte Flasche aus dem Weinkeller Schrägstrich Eckschrank-unter-der-Keksdose. Was mich an die Kekse erinnerte. Also verdrückte ich noch schnell einen Doppelschokokeks. Dann piepte die Mikrowelle endlich. Ich kippte die Cottage Pie aus der Packung auf den Teller – ein großer unappetitlicher Pampe-Berg, der in der Mitte noch kalt war. Aber ich hatte nicht die Geduld, das Zeug noch mal in die Mikrowelle zu schieben und weitere dreißig Sekunden zu warten, sondern stellte mich zum Essen an die Küchentheke und stocherte in den warmen Teilen am Rand der Pampe herum.
Früher habe ich richtig gekocht. Fast jeden Abend. Wenn ich mal nicht kochte, dann kochte Blake, mein Freund. Und es machte uns Spaß. Wir hatten eine große Wohnung in einer umgebauten Brotfabrik gekauft, mit deckenhohen Metallsprossenfenstern, unverputzten Original-Backsteinwänden und einem offenen Koch-Ess-Bereich. Beinahe jedes Wochenende kamen Freunde zum Essen. Blake kochte wahnsinnig gern, fand Besuch wunderbar und versammelte am liebsten sämtliche Freunde und dazu noch unsere Familien um sich. Er liebte den Trubel, wenn viele Leute gemeinsam lachten, redeten, aßen, diskutierten. Er liebte die Gerüche, den Dampf, die genüsslichen Ohs und Ahs. Dann stand Blake an der Kücheninsel und erzählte wortgewandt spannende Geschichten, während er eine Zwiebel kleinschnitt, Rotwein in ein Bœuf Bourguignon kippte oder ein Omelette Surprise flambierte. Er maß nie etwas ab, und trotzdem traf er immer die richtige Mischung. Er bekam überhaupt immer die perfekte Balance hin. Blake arbeitete als Reise- und Food-Journalist, und er liebte es, überall hinzureisen und alle möglichen neuen Gerichte zu probieren. Er war extrem unternehmungslustig. An den Wochenenden waren wir immer unterwegs, bestiegen alle möglichen Berge, und im Sommer bereisten wir Länder, von denen ich davor noch nie etwas gehört hatte. Wir machten Fallschirmspringen und Bungeejumping. Blake war perfekt.
Und dann ist er gestorben.
Nein, das war ein Witz. Er ist gesund und munter. Der Witz war ziemlich daneben, ich weiß, aber ich habe trotzdem gelacht. Nein, Blake ist nicht tot, er ist quicklebendig. Und immer noch perfekt.
Aber ich habe ihn verlassen.
Inzwischen hat er eine eigene Fernsehsendung. Als er den Vertrag unterschrieben hat, waren wir
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