Ein Moment fürs Leben. Roman
weich fallenden asymmetrischen Kleid in einer perfekt ausgeleuchteten Studio-Küche, wo eine große Schale kunstvoll arrangierter Zitronen und Limetten darauf hinwies, dass das Leben ihre Vorliebe für Zitrusfrüchte unterstützte. Vor ihrem Treffen mit dem Leben hatte die Frau eine Brille getragen, danach trug sie Kontaktlinsen. Ich fragte mich, was sie mehr verändert hatte – die Zeitschrift oder das Leben.
Nicht mal eine Woche, bis ich mein Leben treffen würde. Und mein Leben war ein Mann. Aber warum ich? Mein Leben war doch ganz in Ordnung. Es ging mir gut. Alles lief prima.
Dann streckte ich mich auf der Couch aus und studierte die Vorhangstange, um zu entscheiden, was ich anziehen sollte.
Kapitel 4
An dem verhängnisvollen Samstag, vor dem mir schon gegraut hatte, bevor ich von ihm erfahren hatte, hielt ich in meinem 1984er VW -Käfer – der den ganzen Weg zu der exklusiven Wohnsiedlung Fehlzündungen gehabt und einige tadelnde Blicke von den sensiblen reichen Leuten auf sich gezogen hatte – am elektrischen Tor vor dem Haus meiner Eltern. Da ich nicht in dem Haus aufgewachsen war, vor dem ich jetzt wartete, hatte ich auch nicht das Gefühl, nach Hause zu kommen. Es fühlte sich nicht mal wie das Zuhause meiner Eltern an. Es war lediglich das Haus, in dem sie wohnten, wenn sie gerade nicht in ihrem Feriendomizil weilten, und ihr Feriendomizil war das Haus, in dem sie wohnten, wenn sie sich gerade nicht in ihrem Haupthaus aufhielten. Die Tatsache, dass ich draußen warten musste, bis mir Einlass gewährt wurde, sorgte zusätzlich für Distanz. Manche meiner Freunde fuhren einfach in die Auffahrt, kannten Passwörter und Alarmcodes oder benutzten sogar ihren eigenen Schlüssel, wenn sie ihre Eltern besuchten. Aber ich wusste nicht mal, wo die Kaffeetassen standen. Das große Tor erfüllte seinen Zweck, denn es war ja dafür gemacht, Landstreicher und unerwünschtes Gesindel – und Töchter – abzuhalten. Für mich allerdings war das Abschreckendste die Vorstellung, da drinnen eingesperrt zu sein. Ein Einbrecher hätte über das Tor klettern wollen, um reinzukommen, ich dagegen wollte drüberklettern, um rauszukommen. Als würde es meine Stimmung aufgreifen, hatte mein Auto – das ich, nebenbei bemerkt, Sebastian getauft hatte, nach meinem Großvater, den man nie ohne Zigarre sah und der schließlich an seinem Raucherhusten starb – angefangen zu schwächeln, sobald es merkte, wohin es ging. Der Weg zum Haus meiner Eltern führte durch ein verzwicktes Labyrinth kurviger Sträßchen quer durch Glendalough, auf und ab, hin und her, vorbei an einer endlosen Abfolge gigantischer Villen. Stotternd blieb Sebastian stehen. Ich kurbelte mein Fenster herunter und drückte auf die Gegensprechanlage.
»Hallo, hier ist das Silchester-Heim für Perverslinge, wie kann ich Ihnen helfen?«, ertönte eine heisere Männerstimme aus dem Lautsprecher.
»Hör auf mit dem Quatsch, Riley.«
Aus dem Lautsprecher erscholl explosives Gelächter, was zur Folge hatte, dass zwei botoxgespritzte Blondinen in Walkingausrüstung ihr intimes Geplauder unterbrachen, zu mir herumwirbelten, dass die Pferdeschwänze flogen, und mich interessiert anstarrten. Ich lächelte ihnen zu, aber als sie erkannten, dass es sich bei mir lediglich um ein unwichtiges braunes Ding in einer rostigen Blechkiste handelte, wandten sie sich wieder ab und setzten ihre von keiner sichtbaren Sliplinie verunzierten, stramm in Lycra verpackten kleinen Rosinenpopos wieder in Bewegung.
Das Tor bebte, geriet in Bewegung und öffnete sich von der Mitte aus.
»Okay, Sebastian, dann wollen wir mal.« Der VW ruckelte los. Er wusste, was vor ihm lag: zwei Stunden Warterei zwischen lauter protzigen Angeberkarossen, mit denen er nichts gemeinsam hatte. Für mich würde es nicht anders sein. Über den langen Kiesweg gelangten wir auf den Parkplatz. Mittendrin stand ein Brunnen in Form eines Löwen, der mit aufgerissenem Maul trübes Wasser in die Höhe spuckte. Ich parkte ein Stück entfernt von Vaters flaschengrünem Jaguar XJ und seinem 1960er Morgan +4, den er gern als sein Wochenendauto bezeichnete, weil er ihn in seiner Freizeitaufmachung mit klassischen Lederhandschuhen und Schutzbrille fuhr – als wäre er Dick Van Dyke in
Tschitti Tschitti Bäng Bäng
. Natürlich war er ansonsten vollständig bekleidet – es lag keineswegs in seiner Absicht, seine Mitmenschen zu belästigen. Neben Vaters Autos stand der schwarze Geländewagen meiner Mum. Sie
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