Ein Mord am Ende der Welt. Kriminalroman. (German Edition)
die Realität jetzt wie im Film verschwommen und hätte mich in die Zeit, aus welcher dieser Hut stammte, zurückgezogen – ich wäre dahingeschmolzen vor Glück und wäre blind gefolgt.
Aber kaum, dass ich mir alles genauer ansehen wollte, rief meine Mutter von unten und wollte wissen, ob es auf dem Dachboden noch etwas zum Mitnehmen gab oder ob alles in den Müllcontainer wandern sollte. Bevor meine Großmutter zurückrufen konnte, griff ich an ihren Arm und schüttelte heftig den Kopf, ganz so, als ob ich ihr sagen wollte, dass sie diese Welt nicht verraten dürfe. Zum Glück verstand meine Großmutter mein Anliegen und antwortete meiner Mutter, dass hier nichts wäre, was gleich von Interesse sei. Ich dankte meiner Großmutter überschwänglich mit meinen Augen, die mir ein verschwörerisches Lächeln schenkte.
Als wir gemeinsam wieder nach unten gingen, war es mir, als ob ich mit der Geheimhaltung dieses Ortes vor meiner Mutter ein Reich bewahrt hatte, das durch ihren kühlen Aktionismus nur entweiht worden wäre. Ich möchte nicht falsch verstanden werden – ich liebe meine Mutter über alles, aber sie war nun mal ein Kind dieses Jahrhunderts. Sie war fortschrittlich und allem Neuen erst einmal aufgeschlossen. Ich hingegen wünschte mir manchmal, dass sich nicht immer alles so schnell bewegte, sondern auch mal was gleich blieb. Da war ich schon viel eher wie meine Großmutter!
Später am Abend hatte ich endlich die Gelegenheit, allein mit meiner Großmutter über den Dachboden zu sprechen. Ich erklärte ihr, warum ich sie darum bat, meiner Mutter nichts von diesem Ort zu erzählen, und ich war mir absolut sicher, dass ich in meiner Großmutter eine Verbündete gefunden hatte. Denn auch sie hatte noch ein Gefühl für jene Zeit, in der vieles nicht ging, was heute ging.
In einer Welt, in der die Möglichkeiten nur begrenzt sind, erfahren die Menschen ihr Glück auf eine andere Art und Weise. Wer sich heute nicht vorstellen kann, dass die Menschen der letzten Jahrhunderte trotz des mangelnden Komforts ein glückliches Leben geführt haben, sollte sich einmal selbst fragen, was denn eigentlich das glückliche Leben ausmacht. Bestimmt liegt die Antwort in den einfachen Dingen des Lebens.
In den folgenden Wochen, in denen meine Großmutter immer wieder die Räumung des Hauses nach hinten verschob, verbrachte sie viel Zeit mit mir auf dem Dachboden des alten Hauses. Immer wenn ich aus der Schule kam und meine Mutter noch auf der Arbeit war, trafen wir uns verschwörerisch im Haus meiner Urgroßmutter, das fußläufig und nicht sehr weit von unserem Haus stand.
Meine Großmutter lebte bei uns mit im Haus. Im Parterre hatte sie eine kleine Einliegerwohnung bezogen, nachdem mein Großvater schon vor meiner Geburt gestorben war. Hand in Hand gingen wir die zwei Straßen hinab und freuten uns bereits auf unsere Rückkehr in die alte Zeit. Jedes Mal, wenn wir das Dachgeschoss betraten, entspann sich zwischen uns eine Art Rollenspiel, in dem ich mich meistens in eine aufreizend junge Dame verwandelte, während meine Großmutter in verschiedene Rollen schlüpfte – in die gestrenge, zuweilen herrische Mutter oder in den gütigen, aber nicht sehr gut auf seine Frau zu sprechenden Lord mit Frack und Hut. Auch wenn uns die Kleidungen nicht sehr gut standen, insbesondere die männlichen, hatten wir einen Riesenspaß, legten alte Schallplatten auf, tanzten und lachten dabei.
Den größten Spaß aber hatten wir beide, als wir etwas entdeckten, was selbst meine Großmutter bisher nicht kannte: mehrere Hefte eines handgeschriebenen Textes, viele schier endlose Seiten lang, schon leicht verblasst, doch von einem hochinteressanten Inhalt, der uns staunend machte, je länger wir in dem Text lasen. Die mühevoll, sauber geschriebene Schrift half uns beiden, sich gegenseitig das Geschriebene vorzulesen und wir waren erstaunt, welches tiefere Geheimnis in ihm steckte – und was meine Urgroßmutter damit zu tun hatte…
1. Kapitel
Ich heiße Alexandra McAllister und bin zu dem Zeitpunkt, da ich diese Gedanken aus meinen Erinnerungen auf dieses Papier niederschreibe, vierundzwanzig Jahre alt. Doch die Ereignisse, von denen ich berichten möchte, liegen bereits sieben Jahre zurück. Nur hatte ich bisher kaum den Mut gefunden, mich an die seltsamen Vorgänge zu erinnern, sodass ich mich dagegen sträubte, das Geheimnis, das damals durch meinen Vater und mir untersucht worden war, aus dem Gedächtnis aufzuschreiben.
Mein
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