Ein Mord am Ende der Welt. Kriminalroman. (German Edition)
Prolog
Das Leben eines Menschen verläuft selten in den Bahnen, die man sich in der Jugendzeit vorgestellt hat – geschweige denn in jenen, die man sich als Kind so sehr erwünscht. Aber das, was man in seiner Kindheit erfahren hat, prägt den Menschen für das ganze Leben.
Meine Urgroßmutter hatte meine Geburt noch erlebt, doch als ich vier Jahre alt war, starb sie schnell und ohne großes Leiden. Bis zu ihrem Ende konnte sie mit meiner Großmutter lachen und ihr Geschichten aus der alten Zeit erzählen, als die Welt noch eine völlig andere war. Meine gutherzige Großmutter glaubte diese Geschichten und alle Worte meiner Urgroßmutter schienen ihr die reine Wahrheit. Meine Mutter hingegen dachte bei diesen ausschweifenden und zuweilen phantastisch anmutenden Erzählabenden immer, dass meine Urgroßmutter sehr viel dazuerfinde, was nicht gewesen ist – um der alten, goldenen Zeiten willen.
Der Volksmund sagt gerne, dass Neigungen, Talente und Ausprägungen gerne mal eine Generation überspringen. So war ich wieder Feuer und Flamme, wenn meine Großmutter mit uns am Abendtisch saß und lange ausholte, um eine Geschichte aus dem Anfang des letzten Jahrhunderts zu erzählen, die an Spannung und an Abenteuerlust kaum zu übertreffen war. Ich glaubte meiner Großmutter, wie sie ihrer Mutter geglaubt hatte – und auch wenn meine Mutter sich dagegen sträubte, an eine gute Geschichte zu glauben, dann sollte das ihr Pech sein.
Doch all das Glück der alten Zeit änderte sich, als ich größer wurde und meine Großmutter sich entschloss, das Haus meiner Urgroßmutter zu verkaufen, da es seit meinem vierten Lebensjahr die letzten zwölf Jahre leer gestanden hatte. Niemand aus der näheren Familie oder weiteren Verwandtschaft hatte sich für das alte und nicht mehr ganz taufrische Haus interessiert. Nach zwölf Jahren entschied meine Großmutter dann, dass sie nun mit der Trauer soweit abgeschlossen habe, dass das Haus ihrer Jugend, das mit all ihren Erinnerungen behaftet war, verkauft werden könne.
Niemand außer meiner Großmutter hatte in den letzten zwölf Jahren einen Fuß in das Haus gesetzt. Da aufgrund nicht vorhandener finanzieller Nöte in der Familie kein Zwang bestand, war fast alles noch in dem Zustand, in dem meine Urgroßmutter das Haus zurückgelassen hatte, als sie von uns ging.
Als wir eintraten, roch der Innenraum ein wenig muffig, da seit langem nicht mehr gelüftet worden war, doch es war aufgeräumt und man hätte meinen können, das Haus hätte sich in einen Dornröschenschlaf zurückgezogen, um die Zeit des Nichtgebrauchtwerdens zu überwintern. Wir beließen alles so, wie es meine Urgroßmutter eingerichtet hatte, staubten die Möbel ab, saugten und wischten die Böden, räumten die Schränke aus und schmissen die meisten Alltagsgegenstände weg. Als Erinnerung nahmen wir nur die schönen Stücke mit, jene, die uns an die schönen Zeiten mit der Urgroßmutter erinnerten.
Als wir mit dem Hausputz fertig waren, wollten wir bereits unseren Tag beenden, als meiner Mutter einfiel, dass es noch einen Dachboden gäbe, auf dem sicherlich noch einige Gegenstände befänden, die es zu begutachten lohne.
Da meine Mutter der steilen Treppe zum Dachboden ihr ganzes Leben lang schon nicht traute, erbarmte sich meine Großmutter und kletterte mit mir auf den Dachboden. Als wir oben in dem Dachgeschoss standen, war es, als wäre ich in eine andere Welt eingetreten.
Überall lagen Gegenstände aus einer Zeit herum, die längst in den Köpfen der heutigen Menschen vergessen ist. Ich sah ein altes Telefon, das man noch an der Seite kurbeln musste, ein verstaubtes Grammophon mit einem riesigen goldenen Trichter und eine schmiedeeiserne Kleiderstange, an denen noch uralte Kleider hingen, die zu Beginn des letzten Jahrhunderts wohl mal modern gewesen waren. Als ich die Klamotten berührte, sah ich, wie sich in ihnen die Motten eingenistet hatten, was mich zurückschrecken ließ.
Aber dennoch sprachen alle Gegenstände von Gesang, Tanz, Spiel und Spaß. Es war, als würde ich die Atmosphäre dieser Zeit förmlich anpacken und mich in sie hineinziehen lassen können.
Dann entdeckte ich mit einem Mal die antike Kommode, keine dieser neuzeitlichen Imitate, sondern eine echt-massive in weiß, mit kleinen Schubladen und noch kleineren Griffen. Auf dieser Kommode lag ein kleines Deckchen und darauf eine Melone, ein Bowler-Hut, wie sie in den Dreißigern jeder Mann, der etwas auf Mode hielt, getragen hat. Wäre
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