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Ein Mord den jeder begeht

Ein Mord den jeder begeht

Titel: Ein Mord den jeder begeht Kostenlos Bücher Online Lesen
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und verstreuten sich wortlos längs des Ufers, um neuerlich dem Fange nachzugehen.
    Auch Kokosch hockte gleich bei einer seichten Stelle nieder. Aber er bewegte sich so wie Menschen, deren Hände nach einem schrecklichen Unglücksfalle irgendwas vollends Nebensächliches tun, indem sie etwa einen Knopf am Rocke öffnen oder schließen. Auf solche Weise fing er, seltsam genug, innerhalb weniger Augenblicke bereits einen Salamander. Das Tier zappelte in seiner Hand. Er öffnete diese wieder, und es entschlüpfte. Kokosch erhob sich und ging sogleich weg, über das kurze Gras der Wiese, ohne daß ihn jemand von den Knaben bemerkte oder beachtete.
    Seine Beine waren ganz steif, jeder Schritt schüttelte bis in den Kopf hinauf, als wandle er auf hölzernen Stelzen dahin, und er wäre jetzt völlig unvermögend gewesen, etwa eine kleine Strecke zu laufen. Die rechte Hand fühlte Kokosch noch naß und kühl vom Wasser, das zwischen den zusammengekrümmten Fingern haftete.
    Bei alledem ging er schwerfällig immer weiter und kam auf eine breite Fahrstraße, die links und rechts von je einer mit Gerberlohe belegten Reitbahn begleitet wurde. Und schon jaukte es heran und mit großer Bewegung und dunklen Rossesbeinen zwei Schritte von ihm entfernt vorbei, der rotbraune Bodenbelag spritzte in Brocken, die Reiter aber waren oben irgendwo über Kokosch, sie kamen sozusagen gar nicht in Betracht, denn er ließ den Blick vor seinen Füßen liegen. Neuerlich sprengte es heran, eben als er die Bahn überqueren wollte, und so blieb er denn stehen. Aber da geschah vor ihm jetzt ein Verhalten der Bewegung, die schweren großen Hufe traten tänzelnd ein wenig herum, die hohe dunkle Verschattung durch das Pferd ging nicht sogleich wieder vorüber, sondern setzte sich vor Conrad fest und blieb stehen.
    »Kokosch!« rief jemand mit heller Stimme von oben. Gleich danach sprang Ligharts aus dem Sattel und nahm Conrad um die Schultern. »Du, das freut mich nun einmal sehr!« sagte er lachend, »was treibst du hier? Soll ich mit dir gehen? Ach bitte« – er rief zu dem Reitlehrer hinauf, einem älteren Manne, der nun Günthers Pferd hielt und lächelnd auf die Jungen heruntersah – »ach bitte, ich treffe hier eben meinen Freund, würden Sie die Güte haben, Herr Brokmann, ›Daisy‹ nach Hause mitzunehmen? Wir reiten nämlich schon heim« – so wandte er sich jetzt erklärend an Conrad – »es ist nicht mehr weit, ich gehe mit dir. ›Daisy‹ heißt sie«, setzte er hinzu und klopfte sein Pferd am Halse, »sie ist eine Gute, Liebe. Siehst du, Daisy, das ist mein Freund Kokosch, sieh ihn dir nur an.« Er umarmte den Kopf der braunen Stute und lachte.
    Kokosch streichelte mit seiner noch immer feuchten Hand ›Daisys‹ Mähne.
    Sein Kopf war wie von Holz, die Zähne lagen im Munde, als hätte er ein steinernes Gebiß, der Körper drückte hinunter in die Gerberlohe, darauf er stand, und ihm war, als sei er bis zur Mitte darin eingegraben. Geläufig jedoch sprach sein Mund: »Nein, reite nur weiter, Günther, laß dich nicht abhalten. Ich war nur ein wenig in den Wiesen und muß jetzt wieder hinüber in den Kaffeegarten dort an der Allee, wo meine Eltern mit allerhand Tanten sitzen, die warten auf mich.« Er brachte ein freundliches Lächeln fertig und eine deutende Bewegung der Arme in der Richtung, wo die erwähnte Örtlichkeit lag. Günthern in seinen gelben Stiefelchen und Reithosen empfand er während des Sprechens als ein aus unvorstellbar leichtem, reinem und glücklichem Stoffe bestehendes Wesen.
    »Gut denn, auf morgen, in der Schule!« sagte Ligharts, immer lachend, schüttelte Conrad die Hand, trat in den Bügel und stieg auf. Kokosch grüßte auch Herrn Brokmann und dieser ihn, und Günther wandte sich aus dem Sattel im Davonreiten noch einmal winkend um.
    Conrad kreuzte die Fahrstraße, die etwas höher lag als die beiden Reitbahnen links und rechts. Beim Hinauf – und Hinabsteigen empfand er einen kleinen, müden Stich in den Knien. Ihm war heiß. Er fühlte jeden Teil seines Körpers, bis unter die Haarwurzeln.
    Seine rechte Hand war jetzt schon ganz trocken. Er folgte einem schmalen Wege zwischen den Gebüschen, durchschritt eine Gruppe jüngerer Laubbäume, welche hier am Rand der weiten Wiesen standen, und trat auf diese selbst hinaus. Sie schienen ihm übermäßig groß, ausgestreckt in der Abendsonne vor seiner Müdigkeit. Ja, er hatte Günther abweisen müssen, das stand nun ganz außer Frage, »bei solchem Zustande!«

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