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Ein Mord den jeder begeht

Ein Mord den jeder begeht

Titel: Ein Mord den jeder begeht Kostenlos Bücher Online Lesen
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– das dachte er wörtlich – es war noch gut verlaufen. Im gleichen Augenblick fiel ihm ein, und zwar erstmalig, daß er noch niemals eine jener Tüten mit Zuckerwerk, wie er sie für die »Fischer« dort unten oft erstanden, Ligharts angeboten hatte, obwohl dieser auf Näschereien versessen war und sie gelegentlich sogar stahl, wenn er konnte. Conrad schritt jetzt in der Mitte der größten Wiese dahin. Vom Kanal klang das Tuten eines Dampfers. Nein, er war nie darauf verfallen, Günther etwa in dieser Weise eine Freude zu bereiten.
    Daheim kam das Fieber zum Ausbruch.
    Er stand in der Mitte des Zimmers und fühlte sich durch eine weiche, unsichtbare und ungreifbare Schicht getrennt von allen Dingen um ihn herum, als wären sie von der Stelle, wo er sich befand, weiter weggerückt; das Zimmer schien ihm größer. Er sah nicht nach den Molchen. Frau Leontine trat ein und bemerkte gleich, daß Kokosch krank war. Er mußte ins Bett, ein Thermometer wurde unter seine Achsel gesteckt, er bekam Tee mit Milch und gebähtem Brot zum Abendessen. Er lag auf dem Rücken, und um seine Nase geisterte ständig ein Geruch wie von einem Sumpfe. Der Schlamm dort im Tümpel hatte so gerochen. Sobald er aber diesen Geruch aufmerksamer einziehen wollte, war’s verschwunden. Einige Augenblicke überlegte Kokosch, ob ein solcher Hauch nicht vielleicht aus dem Becken der Molche steige? Der Vater trat ein mit dem Arzte, den man gleich hatte kommen lassen, die Decke ward zurückgeschlagen, das Herz behorcht, der Puls gefühlt. Des Doktors Kopf mit den sehr reinen weißen Haaren, denen irgendein strenger und bitterer Duft anhaftete, war einige Augenblicke hindurch dicht vor Kokosch. »Morgen bleibst du liegen«, sagte der Arzt und lachte, »und übermorgen kannst du schon wieder in die Schule laufen.« Er wandte sich zu den Eltern und fuhr fort: »Es ist nichts von irgendwelcher Bedeutung. Wenn er morgen abend kein Fieber hat, dann lassen sie ihn ruhig aufstehen und am nächsten Tage ausgehen. Manche Menschen neigen überhaupt zu raschem und bald wieder vergehendem Fieber. Das hat nichts auf sich.«
    Am nächsten Tage kam Ligharts. Er war augenscheinlich besorgt, fragte Kokosch, was ihm fehle, ob er müde sei und ob er nicht schon gestern sich krank gefühlt habe? Günther saß am Bett und hielt irgendeine in Seidenpapier eingemachte Sache zwischen den Knien. Frau Leontine trat ein, Günther stand auf und schlug die Hacken zusammen. Kokosch lag auf dem Rücken und fürchtete plötzlich, daß nun seine gestrige Lüge an den Tag kommen möchte, von dem Kaffeegarten, in welchem die Eltern säßen »mit allerhand Tanten«. »Darf er Eis essen?« fragte Ligharts. »Ich denke, es wird ihm nicht schaden«, antwortete Frau Leontine. Aus dem Seidenpapier war ein großer weißer Becher zum Vorschein gekommen. »Da sieh mal, Kokosch, dein Freund hat dir Gefrorenes gebracht, ich will Schüsselchen und Löffel holen gehen«, sagte die Mutter.
    Es war ein schöner Nachmittag, wenn auch von einer seltsamen und neuartigen Wehmut getränkt, die wie Grundwasser zwischen allen Dingen stieg. Kokosch löffelte sehr nachdenklich sein Eis. Er war völlig wohl und entsann sich verwundert seiner gestrigen Niedergedrücktheit. Das Thermometer zeigte ihn frei von Fieber. Der Sumpfgeruch war vergangen. Günther mußte gleichwohl in Conrads Auftrag das Becken mit den Molchen beschnüffeln. Aber es roch keineswegs, nur ein wenig nach Wasser und Pflanzen. Die Tiere bewegten sich munter. Ligharts saß bei Conrad am Bett und berichtete, was es in der Schule gegeben habe. Sie nahmen, über Kokoschs Vorschlag, gleich das für morgen Nötige durch, indessen war’s nicht viel und bald beendet.
    Am nächsten Tage, gleich nach dem Mittagsmahle, eilte Conrad in die Au. Die Sonne lag überall schwer und heiß. In der Gegend des Tümpels war es still; zu so früher Nachmittagsstunde schien von den fischenden Knaben noch niemand zugegen.
    Conrad trat entschlossen um ein Gebüsch und sah über das Wasser. An dem Aste dort drüben, der vom halbversunkenen Baume hervorragte, hing noch immer die tote Schlange.
    Er bückte sich, fand einen Stein, wollte und mußte treffen. Sein Geschoß riß in der Tat das tote Tier aus der Gabelung des Astes. Während drüben der Stein im Ufergebüsch kurz raschelte, glitt der Körper herab ins tiefe Wasser und versank.
    Ein Knabe stand neben Conrad.
    »Warum hast du sie eigentlich erschlagen?« sagte er.
    Kokosch erlebte jetzt erstmalig die Grenze

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