Ein nackter Arsch
antwortete Simarek.
„Das Übliche“, kam es vom Fahrersitz des Wagens. Damit war das Gespräch zu Ende. Ricky fuhr den Kommissar nicht zum ersten Mal zu einem Leichenfundort. Simarek forderte immer zuerst Ricky an. Er wusste, warum.
Fünf Minuten später stieg der Kommissar aus dem Taxi. In seinem leicht angeschmuddelten Sweatshirt fröstelte ihn. Er hätte sich eine Jacke überziehen sollen. Als Beamter der Kriminalpolizei trug Simarek grundsätzlich keine Uniform. ‚Lageangepasste Zivilkleidung‘ hieß sein Look in der Fachsprache. Und eine lageangepasste Jacke wäre jetzt hilfreich gewesen. Nachts war es im Oktober schon empfindlich kalt. Von weitem nahm er am Saarufer schemenhaft Gestalten wahr. Dort musste es sein.
„Keine zwölf Minuten, alle Achtung!“
Simarek wusste nicht, ob Trulli wirklich auf die Uhr geschaut hatte. Er ließ ein kleines Grinsen über das Gesicht huschen, nickte seinem Assistenten anerkennend zu und begrüßte auch die Streifenpolizisten, von denen zwei den Fundort absicherten, während die anderen beiden mit einem zitternden, unrasierten Mann sprachen. Simarek benötigte keinen besonderen Scharfsinn, in ihm den Obdachlosen auszumachen. Eigentlich waren es immer Obdachlose, die nachts Leichen fanden. Na ja, was trieben sie sich auch um diese Zeit auf der Straße herum.
„Fahrt mit ihm auf die Wache, nehmt seine Aussage auf und gebt ihm vor allem heißen Kaffee!“
Simarek hatte keine Lust, den Mann hier und jetzt zu vernehmen. Was konnte der ihm schon sagen, außer vielleicht: „Ich habe diese Leiche gefunden, der Mörder ist einsdreiundachtzig groß, trägt Konfektionsgröße zweiundfünfzig und spricht fließend Schwedisch.“ Solche Zeugenaussagen gab es nur in Krimis. Simarek hatte eine Schwäche für die fiktive Welt der Verbrechen. Gerade hatte er mit Andrea Camilleris Commissario Montalbano Freundschaft geschlossen. Die ersten vier Kapitel von Die Form des Wassers hatte er während seiner letzten Morgentoilette nebenher verschlungen. Eine weitere – Morgentoilette, nicht Lektüre – würde ihm bestimmt nicht schaden; er beschloss, sie später nachzuholen.
Ja, Krimis, die konnte er verschlingen, aber das hier war die Wirklichkeit: eine Leiche, die Haut etwas bläulich, vielleicht von der Kälte, mit dem Gesicht zum Boden, den fleischigen Hintern einem imaginären Publikum zugewandt, so als wollte er sagen: „Leck mich!“
„Da liegt er so, wie Gott ihn erschaffen hat!“
Fabio Trulli störte den Gedankengang seines Chefs, und der verzog gequält die Mundwinkel.
„Glaube kaum, dass Gott für die Speckrollen zuständig ist.“ Der Kommissar schätzte das Übergewicht auf gut zwanzig Kilo. Er kannte sich da aus.
Fabio Trulli ließ sich nicht anmerken, ob er den leicht tadelnden Unterton in Simareks Stimme bemerkt hatte. Vermutlich, so dachte der Kommissar, hatte Fabio die Redewendung in einem anderen, schöneren Zusammenhang aufgeschnappt und in seinen Wortschatz aufgenommen. Jetzt aber schwieg Trulli, und Simarek näherte sich der Leiche.
So, wie sie da lag, gab sie sich noch nicht zu erkennen. Es würde dauern, bis sie ihre Identität preisgab. Wenn der Mann ein Einzelgänger war, dann würde ihn heute, am Samstag, vermutlich niemand vermissen. Und erst am Montag, sofern er nicht arbeitslos war, käme jemand auf die Idee zu fragen: „Wo ist denn unser Herr X?“
Kein Hinweis bis jetzt, aber Simarek wusste, die Maschinerie der Ermittlung musste nur in Gang kommen. Spätestens in drei Tagen würde der starre Körper auch einen Namen haben. Die Todesursache erwartete er schneller zu erfahren. Dafür würden die Herren von der Rechtsmedizin schon sorgen.
Als Simarek ganz dicht an den Toten herangerückt war, bemerkte er den Geruch: Seife! Und eine Spur von Minze. Die Leiche duftete. Simarek hatte da schon anderes gesehen und gerochen.
„Angenehm“, dachte er, und die unbekleidete Figur auf dem Boden gewann ein wenig von ihrer Würde zurück. Simarek schaute genauer hin und fand bestätigt, dass der Mann auf Körperpflege offensichtlich Wert gelegt hatte.
Die manikürten Fingernägel sprachen Bände. „Und vielleicht hat auch der goldene Ring etwas zu erzählen“, dachte Simarek, als er ihn an der linken Hand entdeckte. Routinemäßig hatte er zuerst auf die rechte Hand geschaut. Er nahm ein Taschentuch und zog den Ring sorgsam vom Finger, wohl wissend, dass die Spurensicherung, sollte sie es je erfahren, mindestens ‚not amused‘ reagieren würde. Aber
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