Ein nackter Arsch
Fischmayr gesagt, nicht etwa fünf! Er war halt präzise und versuchte, durch Korrektheit auch in der Sprache jedwedes Missverständnis von vorneherein auszuschließen. Diese Präzision würden er und sein Team auch bei der nun anstehenden Obduktion walten lassen. Und obwohl Simarek keinen Zweifel daran hatte, dass der Doktor mit seinem Verdacht richtig lag, sah er dem Siebzehn-Uhr-Termin mit Spannung entgegen. Nein, er würde nicht anrufen, er würde hinfahren. Denn der Doktor hatte Recht. Der makellose Zustand der Leiche verlangte nach einer Erklärung. Und vielleicht konnte ein weiterer Blick auf den Toten ja die Fantasie des Kommissars beflügeln. Bis dahin blieben Simarek aber noch ein paar Stunden.
Da sein Kühlschrank leer gähnte, das Bier war vernichtet und die Butter vermutlich ranzig – er wollte sie gar nicht erst probieren, um seinen Verdacht zu bestätigen –, war das die Chance, für das Wochenende zumindest die Grundversorgung zu sichern. Der türkische Gemüse- und Kramladen um die Ecke war gut sortiert, nur Pastis gab es dort keinen. Aber von dem hatte Simarek ohnehin erst mal genug. Allein der Gedanke an Anisgeruch ließ den Kommissar leicht würgen. Vielleicht sollte er auch statt Bier eher Saft und Wasser kaufen und ein abstinentes Wochenende einlegen. Doch diesen Gedanken verwarf er ebenso schnell, wie er gekommen war.
Der Türke , wie er politisch unkorrekt im ganzen Viertel genannt wurde, hatte seine frische Ware immer noch draußen stehen, und Simarek roch gerade an zwei Honigmelonen, die ihm Appetit machten, als er einen herben Knuff in die Seite spürte. Er wollte sich gerade umdrehen, um dem Übeltäter mindestens die Meinung zu sagen, als er eine bekannte Stimme hörte:
„Na, Simarek, steckste deine Nase wieder in Dinge, die dich nix angehen?“ Pastor Hassdenteufel war wie immer ganz in schwarz gewandet. Nur sein Priesterhemd hatte oben einen weißen Stehkragen, der, wie er Simarek einmal gezeigt hatte, aus Kunststoff war. Man konnte ihn abwaschen und war so immer perfekt gekleidet. Hassdenteufel war Pastor der großen Kirche St. Johannes, die mitten in Simareks Viertel lag. Der Kommissar fühlte sich dem Pastor freundschaftlich verbunden und verzichtete deshalb auf Handgreiflichkeiten.
„Was willst du, alter Schweinepriester?“, blaffte Simarek gespielt und ein wenig zu laut. Einige vorbeilaufende Passanten schauten irritiert, andere pikiert.
„Dich zu einem Kaffee einladen, hab’ gerade frischen gekocht! Hast du ein halbes Stündchen Zeit?“
„Für dich immer“, sagte Simarek und war gespannt, was der Priester diesmal von ihm wollte. Er bezahlte ein Sixpack und seine Melone; viel mehr würde es an diesem Wochenende eben nicht geben. Seinem fetten Ranzen würde eine Hopfen-Obst-Diät sicher guttun.
Sie betraten das Pfarrhaus durch den Seiteneingang. Es lag direkt neben der Kirche, die ihren langen schlanken Turm in den blauen Himmel reckte. Der Turm war das höchste Bauwerk der Innenstadt und da diese – damit, und nicht nur damit hatte sie etwas mit Rom gemeinsam – von Hügeln umgeben war, zog der Turm, wenn man von diesen Erhebungen auf die Stadt schaute, die Blicke fast magisch an.
In Hassdenteufels Küche roch es nach frischem Kaffee. Simarek kannte die Dosierung, mit der der Pastor Kaffee zubereitete, nur zu gut. Das Gebräu konnte Tote aufwecken. Wahrscheinlich sah der Priester darin seinen eigenen bescheidenen Beitrag zur Auferstehung verkaterter Kommissare.
„Also Gerd, was ist?“, machte Simarek den Eröffnungszug.
„Hmm… kannst du deinen Kollegen von der Sitte vielleicht einen kleinen Hinweis geben, dass die abends nach zehn mal einen Blick auf das Umfeld von St. Johannes werfen?“
„Wieso das denn?“
„Na ja, da stehen seit einigen Tagen zwei junge Damen, etwas frivoler bekleidet, und sprechen vorbeigehende Männer an. Also, das ist mit Sicherheit gewerblich! Und vor Gottes Haustür muss das nun wirklich nicht sein!“
„Aber Gerd, das ist doch kein Fall für die Sitte.“
„Wieso? Sittenverfall vor der Kirchentüre, was muss denn da noch passieren?“
„Nein, du verstehst nicht. Die Sitte kümmert sich um Prostitution in großem Stil. Wenn’s um Menschenhandel geht oder Gewalt im Spiel ist. In letzter Zeit schleusen organisierte Banden zum Beispiel haufenweise schöne Bulgarinnen ein. Denen hat man in Sofia gesagt: ‚Mädels, ihr könnt in Saarbrücken in einer Bar arbeiten, verdient eine Menge Geld und habt ein schönes Leben‘.
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