Ein orientalisches Maerchen
sie ab und erschrak, als sie seine Stimme erkannte.
„Hallo?“
Tränen stiegen ihr in die Augen, und sie konnte nicht sprechen.
„Kit? Bist du das?“, fragte er nach einer Weile sanft.
„Ja.“ Sie war froh, wenigstens ihre Stimme wieder in den Griff bekommen zu haben. Ihre Hände zitterten immer noch und konnten den Hörer kaum halten.
„Wie geht es dir?“, fragte er nach einer weiteren langen Pause.
„Besser.“ Eine wirklich erschöpfende Auskunft, Kit! Warum bedankst du dich nicht für all die Geschenke, die schönen Briefe, die wunderbaren, witzigen, romantischen, nachdenklichen Texte, bei denen du manchmal vor Verlegenheit rot geworden bist?
„Fein. Ich habe Neuigkeiten, die ich mit dir teilen wollte. Amina erwartet ein Baby.“
„Das ist ja wundervoll. Wie ist denn das passiert?“ Sag mal, wurdest du nicht aufgeklärt? „Ich meine …“
„Ich denke, ich weiß, was du meinst“, erwiderte er ganz ernsthaft, aber sie glaubte einen amüsierten Unterton herauszuhören. „Ich habe mal mit Assad geredet. Offenbar lag es gar nicht an Amina. Auf jeden Fall waren sie zusammen beim Arzt. Und der Besuch hat wohl Früchte getragen.“
„Das ist wirklich wundervoll“, wiederholte sie.
„Begreifst du jetzt, dass man jemand anderen mehr als sein eigenes Leben lieben und trotzdem noch genug Liebe für andere haben kann? Denn man kann nicht nur Liebe fühlen, sondern auch erzeugen, süße Catwoman.“
„Gerard …“
„Hör mir bitte zu“, sagte er eindringlich. „Ich bin nicht wie Colin, und du bist nicht deine Mutter. Unsere Kinder werden eine Frucht unserer Liebe sein, und wir werden sie lieben, beschützen und uns um sie kümmern, verstehst du mich?“
„Unsere Kinder?“ Das ging ihr alles viel zu schnell.
„Und deshalb frage ich dich jetzt, Kit: Kannst du dir eine Zukunft mit mir vorstellen? Ich weiß, was du durchgemacht hast, aber … ich möchte dir so gern zeigen, dass wir füreinander bestimmt sind. Dass du mir vertrauen kannst und keine Angst zu haben brauchst. Nur – du musst es zulassen.“
Weil sie schwieg, redete er nach einer kurzen Pause weiter.
„ Mon Dieu, mon amour, sag was, mach was, irgendwas – oder willst du, dass ich durchdrehe?“
„Nein, Gerard.“ Irgendwie hatte er es geschafft, gleichzeitig wie ein starker Kämpfer und wie ein kleiner Junge zu wirken – und die Mischung hatte es in sich. Außerdem konnte sie nicht denken, wenn seine Stimme sie streichelte. Erst recht keine Entscheidung treffen, die ihr ganzes Leben verändern würde. Und überhaupt, selbst wenn er sie wirklich liebte, was sie immer noch kaum glauben konnte, obwohl er es ja extra gesagt hatte – wie sollten sie zusammenkommen, wenn sie selbst zu feige für die Liebe war?
„Ist das dein letztes Wort?“
Sie wusste nicht, was sie sagen sollte, und legte einfach schnell auf. Was bist du doch für ein Feigling, Kit! Am Schluss behält Colin noch recht: So bist du nicht liebenswert …
In der folgenden Zeit hatte Kit wiederholt das Gefühl, es nicht mehr aushalten zu können. Aber irgendwie ging es immer weiter. Um sie herum waren die Weihnachtsvorbereitungen in vollem Gange, aber das berührte sie nicht. In ihrem Herzen war nur noch ein tauber Schmerz. Stück für Stück war es abgestorben, als keine Briefe mehr von ihm kamen. Sie hatte zwar die Hoffnung noch nicht ganz aufgegeben, sich irgendwann jedoch der bitteren Erkenntnis gefügt. Er würde ihr nicht mehr schreiben.
Kurz vor Weihnachten stand dann fest, dass Emma und David über die Feiertage zu ihren Eltern fahren würden. Sie hatten zwar immer wieder versucht, Kit zum Mitkommen zu überreden, aber sie wollte einfach nicht.
Als die beiden dann weg waren, kam ihr die Wohnung furchtbar leer vor. Um sich abzulenken, nahm sie sich Arbeit mit nach Hause, zappte sich durch das Fernsehprogramm oder versuchte, ein Buch zu lesen. Doch irgendwie half das alles nichts.
Hör endlich auf mit dem Gejammer! Anderen geht es viel schlechter!
Ja, im Grunde konnte sie sich nicht beklagen. Ihr Designer-Laden lief inzwischen richtig gut. Mit David hatte sie sich ausgesprochen, und zusammen mit Emma arbeiteten sie jetzt richtig gut im Team. Körperlich war sie gesund, finanzielle Not hatte sie auch nicht.
Trotzdem war ihr zum Heulen! Und schon fing sie an, hemmungslos zu weinen.
Irgendwann am Nachmittag fiel ihr so dermaßen die Decke auf den Kopf, dass sie beschloss, einen langen Spaziergang im Hyde Park zu machen. Danach gönnte sie sich
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