Ein orientalisches Maerchen
es stimmte. Auch die paar Freunde, die sie vor David gehabt hatte, gehörten im Grunde zum selben Typ: Sie ließen sich leicht führen, hatten kein Problem damit, an zweiter Stelle zu stehen, gaben sich mit gelegentlichen keuschen Küssen zufrieden und stellten auch sonst keine Ansprüche. Und damit die eher maskulinen Typen sie erst gar nicht bemerkten, machte sie sich immer unscheinbar zurecht – Kurzhaarfrisur, wenig Make-up, gedeckte Farben. Bis jetzt hatte das funktioniert.
Sie hob den Kopf und schaute Gerard an. Nur bei ihm nicht.
„ Catwoman?“
Er hat es schon wieder geschafft, dass ich Panik kriege, dachte Kit. Tagelang hatte er sie kühl mit Kit angesprochen. Und jetzt benutzte er wieder seinen Kosenamen. Warum?
„Deine Erinnerung ist zurück, nicht wahr?“ Er fluchte leise, als er den Schmerz in ihren Augen und ihre zitternden Lippen sah. „Was ist los? Rede mit mir!“
Einfach nur in die Arme nehmen wollte er sie, ohne jeden Hintergedanken. Aber als er sie berührte, zuckte sie so heftig zurück, das ihm die Lust verging.
„Fass mich nicht an.“ Ihre innere Stimme warnte sie, sich nicht wieder von ihren Gefühlen hinreißen zu lassen. „Nie wieder!“
„Du musst verrückt sein.“ Gequält sah er in ihr kreideweißes Gesicht. Als er nach ihr greifen wollte, fauchte sie schon.
„Bleib weg!“
Ganz langsam entfernte sie sich rückwärts, schlich vor ihm davon wie vor einem wilden Tier. „Du widerst mich an, hörst du?“ Ihre eigenen Worte taten ihr in der Seele weh. Aber sie konnte nicht anders. Er hatte schon zu viel Macht über sie – was konnte sie tun? Sie liebte ihn. Aber wenn sie ihn an sich heranließ, wäre sie ihm ausgeliefert. Das durfte nicht geschehen! „Ich will dich nie wiedersehen.“
Und dann rannte sie davon. Wie von Sinnen direkt nach oben in ihr Zimmer. Und dort brach sie stöhnend zusammen und blieb wie betäubt liegen. Mit offenen Augen lag sie da, starrte an die Decke und zitterte am ganzen Körper.
Als David sie betrogen hatte, war sie empört gewesen. Aber wenn sie ehrlich zu sich war, musste sie sich eingestehen, dass es sie tief im Innern kaltgelassen hatte. Im Grunde hatte es sie nicht einmal sonderlich überrascht. Nur: Warum hatte sie sich überhaupt mit ihm verlobt?
Weil du sicher sein konntest, dass du dich nie in ihn ver lieben würdest! Du hast dir jemanden ausgesucht, der kei ne Macht über dich besaß und dir so auch nicht gefährlich werden konnte!
Sie schluckte. Irgendwie tat die Wahrheit ihr weh.
Und Gerard? Gerard war anders, bedrohlich anders. In ihrer Kindheit hatte sie sich so ausgeliefert gefühlt – und das waren all die schrecklichen Jahre mit ihrem Stiefvater. War sie etwa dabei, sich erneut in Abhängigkeit zu begeben?
Entsetzen schnürte ihr die Kehle zu. Sie hatte sich geschworen, es nie wieder so weit kommen zu lassen. Der Liebe war sie immer aus dem Weg gegangen, um sicherzugehen, dass ihr niemand zu nahe kam.
Aber wie war es dann möglich, dass allein der Gedanke an den Abschied von Gerard sie so schmerzte? Im Grunde sollte sie doch froh darüber sein. Aus der Entfernung konnte er ihr nicht mehr gefährlich werden. Und es war doch unmöglich, dass sie ihn liebte, oder?
Sie schüttelte den Kopf. Nein, Liebe konnte es nicht sein. Er machte sie einfach nur hilflos, genau wie ihr Stiefvater, und den hatte sie abgrundtief gehasst …
8. KAPITEL
An die Fahrt nach Casablanca konnte sich Kit hinterher nur noch schemenhaft erinnern. Gerard hatte grimmig die endlosen Formalitäten erledigt, während sie schweigend danebenstand. Ihr Inneres war taub vor Schmerz und fühlte sich leer an. Dann brachte er sie in ihr Hotel.
„Du kannst ruhig gehen“, antwortete sie, nachdem er sie gefragt hatte, ob er sie noch auf ihr Zimmer bringen solle. „Ich komme allein zurecht.“
„Daran habe ich nicht gezweifelt, Catwoman“, erwiderte er leicht sarkastisch und gab ihr die Schlüsselkarte, die er gerade an der Rezeption geholt hatte. Es sah so aus, als wolle er gehen, aber dann hielt er noch einmal inne.
„Du musst mir sagen, was geschehen ist. Geht es um David? Hat er dich verletzt?“
David.
Die ganze Zeit hatte Kit sich den Kopf darüber zerbrochen, wie sie es Gerard begreiflich machen konnte. Aber das war die Lösung.
Gerard wollte sie, begehrte sie vor allem körperlich, das hatte er ihr klar zu verstehen gegeben. Und genauso deutlich musste sie jetzt auch werden. Sonst würde er sie nie in Ruhe lassen.
„David?“ Das erste
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