Ein Ort für die Ewigkeit
Scardale entfernt. George machte sich immer sorgfältig Notizen zu allen Meldungen von außerhalb der Grafschaft sowie von anderen Dienststellen in Derbyshire, und er hatte diese beiden Vermißtenfälle besonders genau beobachtet, weil sie nah genug waren, daß die Kinder in seiner Gegend auftauchen konnten. Tot oder lebendig.
Pauline Catherine Reade war der erste Fall gewesen. Dunkelhaarig, mit haselnußbraunen Augen, sechzehn Jahre alt, ein Lehrmädchen bei einem Süßwarenverkäufer aus Gorton, Manchester. Schlank, etwa 1,52 Meter groß, mit einem rosa und goldfarbenen Kleid und einem hellblauen Mantel angetan. Kurz vor zwanzig Uhr am Freitag, dem 12. Juli, war sie aus dem Reihenhaus getreten, wo sie mit ihren Eltern und ihrem jüngeren Bruder wohnte, um zum Twisttanzen zu gehen. Sie wurde nie wieder gesehen. Es hatte zu Hause oder bei der Arbeit keine Probleme gegeben. Sie hatte keinen Freund, mit dem sie sich verkracht haben könnte. Sie hatte kein Geld, mit dem sie hätte weglaufen können, sogar wenn sie das hätte tun wollen. Die Gegend war weiträumig abgesucht worden, drei Staubecken wurden geleert, alles, ohne eine Spur von Pauline zu entdecken. Die Polizei von Manchester war jedem Hinweis nachgegangen, aber keiner davon hatte zu dem verschwundenen Mädchen geführt.
Das zweite Kind, das vermißt wurde, schien mit Pauline Reade nichts gemeinsam zu haben, außer der unerklärlichen, fast magischen Art seines Verschwindens. John Kilbride, zwölf Jahre alt, 1,32 Meter groß, schlank, dunkelbraunes Haar, blaue Augen und mit frischer Gesichtsfarbe. Er trug eine graukarierte Sportjacke, eine lange graue Flanellhose, ein weißes Hemd und schwarze Schuhe mit stumpfen, viereckigen Vorderkappen. George hatte von einem der Kriminalpolizisten aus Lancashire beim Kricket erfahren, daß er kein besonders intelligenter Junge war, aber nett und zuvorkommend. John war mit Freunden Samstag nachmittags ins Kino gegangen, am Tag nachdem Kennedy in Dallas starb. Danach verließ er die Freunde und sagte, er wolle zum Marktplatz in Ashton-under-Lyne gehen, wo er sich oft ein paar Pennies verdiente, indem er Tee für die Marktfrauen und Verkäufer machte. Er wurde zum letzten Mal ungefähr um halb sechs gesehen, an eine Mülltonne gelehnt.
Die darauffolgende Suche hatte gerade am Tag zuvor einen letzten verzweifelten Auftrieb bekommen, als ein Geschäftsmann der Stadt eine Belohnung von hundert Pfund ausgesetzt hatte. Aber offenbar hatte sie nichts genützt. Derselbe Kollege hatte erst letzten Samstag bei einem Tanzfest der Polizei zu George gesagt, John Kilbride und Pauline Reade hätten wohl mehr Spuren hinterlassen, wenn sie von grünen Männchen in einem UFO entführt worden wären.
Und jetzt wurde ein Mädchen in seinem Revier vermißt. Er starrte aus dem Fenster auf die im Mondlicht liegenden Felder an der Straße nach Ashbourne, auf die stoppeligen, von Rauhreif überkrusteten Wiesen und die Trockenmauern, die sie voneinander trennten und im silbernen Licht zu leuchten schienen. Eine dünne Wolke schob sich vor den Mond, und George fröstelte trotz seines warmen Mantels bei dem Gedanken, in einer solchen Nacht und einer so unwirtlichen Gegend ohne Unterschlupf zu sein.
Über sich selbst entrüstet, da er vor Begeisterung über einen wichtigen Fall die Sorge um das Mädchen und ihre Familie verdrängt hatte, wandte sich George an Bob Lucas und sagte: »Erzählen Sie mir von Scardale.« Er nahm seine Zigaretten heraus und bot dem Sergeant eine an, der aber den Kopf schüttelte.
»Danke, Sir, ich nehme keine. Ich versuche, weniger zu rauchen. Scardale könnte man das Land nennen, das von der Zeit vergessen wurde«, sagte er. Im kurzen Leuchten von Georges Streichholz sah Lucas’ Gesicht grimmig aus.
»Wie meinen Sie das?«
»Es ist noch wie im Mittelalter da unten. Nur eine Straße führt rein und raus, und an der Telefonzelle auf der Dorfwiese hört sie auf. Es gibt ein großes Haus, das Gutshaus, zu dem wir jetzt unterwegs sind. Dann sind da noch ungefähr ein Dutzend andere kleine Häuser und die landwirtschaftlichen Gebäude. Kein Pub, kein Laden, keine Post. Mr. Hawkin ist das, was man den Gutsherrn nennen könnte. Ihm gehören alle Häuser in Scardale sowie das Gut und das ganze Land im Umkreis von einer Meile. Alle, die dort wohnen, sind seine Pächter und arbeiten für ihn. Es ist, als seien sie alle sein Eigentum.« Der Sergeant bremste, um von der großen Straße rechts auf einen schmalen Weg abzubiegen,
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