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Ein perfektes Leben

Ein perfektes Leben

Titel: Ein perfektes Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonardo Padura
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um dorthin zu kommen, wo er jetzt steht.«
    »Hör mal, du, sag so was nicht«, erwiderte der Dünne, nachdem er sich eine Zigarette angezündet hatte. »Rafael wusste immer schon, was er wollte, und er ist direkt drauflos marschiert. Und er hatte das Zeug dazu! Nicht umsonst war er Jahrgangsbester seiner Abschlussklasse und später dann der beste Wirtschaftsingenieur. Als ich anfing zu studieren, wurde schon von ihm gesprochen, als wär er ’n Phänomen. Wahnsinn, fast fünf im Durchschnitt, vom ersten Jahr an.«
    »Willst du ihn plötzlich in Schutz nehmen?«, fragte Mario ungläubig.
    »Hör mal, du, ich weiß nicht, was da jetzt passiert ist, und du selbst weißt es genauso wenig, und dabei bist du der Polizist. Aber so liegen die Dinge, Alter. Rafael war wirklich gut in der Schule, und ich bin überzeugt davon, dass er die Prüfungsaufgaben nicht brauchte, damals bei Water-School.«
    Mario Conde fuhr sich durchs Haar. Er musste grinsen. »Leck mich am Arsch, Dünner, der ›Water-School-Skandal‹! Und ich dachte, daran würde sich kein Mensch mehr erinnern.«
    »Hör mal, bevor ichs vergesse«, sagte der Dünne und goss sich Rum nach, »heute Nachmittag war Miki hier. Er fährt nach Deutschland und wollte mich fragen, ob ich was brauche. Und ganz nebenbei kam er auf die zehn Pesos zu sprechen, die er mir geliehen hat. Ich hab das Thema gewechselt und ihm von dem Rummel um Rafael erzählt. Du sollst unbedingt bei ihm vorbeikommen, sagt er.«
    »Wieso? Weiß er was?«
    »Nein, er hats erst von mir erfahren, und da hat er nur gesagt, du sollst vorbeikommen. Du weißt ja, Miki hat immer schon so geheimnisvoll getan.«
    »Und Rafael ist mit weißer Weste aus Water-School hervorgegangen?«
    »Mann, trink noch ’n Schluck, das stärkt den Gedankengang. Nein, er hatte nichts damit zu tun. Als der Direktor gefeuert wurde, war er nämlich schon an der Uni. Aber wer um ein Haar alles ausbaden musste, war Armandito Fonseca, sein Nachfolger als Vorsitzender der Schülervertretung.«
    »Ja, klar, Rafael stand mit einem Bein in der Scheiße, aber er ist sauber geblieben. Sag ich doch!«
    Der Dünne schüttelte den Kopf, so als wollte er sagen: Du bist ein hoffnungsloser Fall, du. Laut sagte er: »Jetzt reichts, Conde! Du weißt nicht, ob er was damit zu tun hatte oder nicht. Tatsache ist, dass er nicht beschuldigt wurde, Noten abgesprochen oder Prüfungsaufgaben verkauft zu haben oder so was. Du hast dich nur immer schwarz geärgert, dass er Tamara aufs Kreuz gelegt hat, und du durftest dir einen runterholen und dabei an sie denken.«
    »Und du, warum hattest du Blasen an den Fingern? Weil du den Hof asphaltiert hast?«
    »Und was dich auch noch wer weiß wie geärgert hat, das hast du mir nämlich mal gesagt, das war, dass wir uns nicht mehr in der Bibliothek vom alten Valdemira zum Lernen treffen konnten, weil Rafael sich da breit gemacht hatte … «
    El Conde stand auf und ging zum dünnen Carlos. Er streckte den Zeigefinger aus und zielte auf die Stirn seines Freundes. »Sag mal, für wen bist du eigentlich, für die Indianer oder für die Cowboys? Weißt du, warum ich nicht auf deine Mutter scheiße? Weil sie Essen für mich macht. Aber auf dich, auf dich scheiß ich mit Vergnügen, mit Ver-gnü-gen! Du redest schon wie die Grille von Pinocchio.«
    »Ach, lass mich doch mit dem alten Scheiß zufrieden«, sagte der Dünne, schlug dem Freund gegen den Arm und fing an zu lachen. Es war ein absolutes Lachen, das aus dem Bauch kam und den ganzen riesigen, schlaffen und so gut wie nutzlosen Körper schüttelte. Ein Lachen, das aus den Tiefen der Eingeweide aufstieg und den Rollstuhl zu Tode erschreckte, das Wände niederreißen und auf die Straße dringen, um die Ecke biegen und Türen aufstoßen konnte. Und das bewirkte, dass auch Teniente Conde zu lachen begann und aufs Bett fiel und noch einen Schluck brauchte, gegen den Hustenanfall. Sie lachten, als hätten sie just in diesem Augenblick entdeckt, was Lachen war. Josefina, durch den Radau angelockt, betrachtete die beiden von der Tür aus und lächelte. Doch hinter der lächelnden Fassade legte sich eine tiefe Melancholie auf ihr Gesicht. Sie hätte alles dafür hergegeben, ihr eigenes Leben, ihre Gesundheit, die langsam schwächer zu werden begann, alles, wenn sie dadurch nur hätte ungeschehen machen können, was passiert war, und wenn diese lachenden Männer wieder die beiden Jungs gewesen wären, die immer so gelacht hatten, ohne Grund, aus bloßem Vergnügen am

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