Ein perfektes Leben
Kampfplätze und Hühnerhöfe der Gegend und lehrte ihn die Kunst, einen Hahn so abzurichten, dass er niemals verliert. Zuerst muss man ihn, wie einen Boxer, mit größtmöglicher Sorgfalt, aber ausschließlich mit legalen und sportlichen Mitteln auf den Kampf vorbereiten und dann, kurz bevor er in das Sägemehl des Platzes tritt, mit Öl einreiben, damit ihn der gegnerische Hahn nicht zu fassen kriegt. Mit der Philosophie von Großvater Rufino (»Wette niemals auf einen Hahn, wenn du nicht sicher sein kannst, dass du gewinnst« ) sah der Junge voller Genugtuung jenen Hahn heranwachsen und gewinnen, den er schon als gewöhnliches Ei gekannt hatte. Der Hahn starb schließlich an Altersschwäche, nachdem er zweiunddreißig Kämpfe siegreich bestanden und unzählige Hennen getreten hatte, die ebenso erstklassig wie er oder noch erstklassiger waren. In jener unbeschwerten Zeit, als Mario Conde morgens zur Schule ging und nachmittags Hähne trainierte, lernte er auch die Bedeutung des Wortes »Liebe« kennen. Er liebte seinen Großvater und wurde krank vor Trauer, als der alte Rufino Conde starb, drei Jahre nach dem offiziellen Verbot von Hahnenkämpfen.
Nachdem El Conde sich kaltes Wasser ins Gesicht geschüttet und den letzten Schlaf vertrieben hatte, begann er den Sonntagmorgen damit, sich der Erinnerung an seinen Großvater hinzugeben. An Sonntagen hatte es immer erstklassig besetzte Hahnenkämpfe gegeben, und aus diesem Grund liebte er die Sonntagvormittage. Nicht die Nachmittage, denn die zogen sich endlos und öde hin, nach der Siesta fühlte er sich bis zum Abend immer erschöpft und schläfrig. Auch die Abende mochte er nicht, dann war es überall rappelvoll, und als einziger Zufluchtsort blieb ihm das Haus des Dünnen. Irgendetwas machte die Sonntagabende zäh und langweilig. Nicht mal ein anständiges Baseballspiel gab es, und sich eine Flasche Rum zur Brust zu nehmen war wegen des drohenden Montagmorgens ziemlich gefährlich. An den Sonntagvormittagen aber, ja, da erwachte das Viertel geräuschvoll zum Leben, wie in der Erzählung, die er in der Literaturwerkstatt geschrieben hatte. Es ergab sich die Gelegenheit, mit allen möglichen Leuten zu plaudern, und Freunde und Verwandte kamen aus anderen Vierteln zu Besuch. Man konnte sogar ein Baseballspiel ohne Schlagstock organisieren, bei dem man mit geschwollenen Fingern keuchend zur first base lief, oder eine Partie Domino spielen oder ganz einfach nur an der Ecke stehen und sich unterhalten, bis man von der Sonne vertrieben wurde. Aufgrund eines uralten Gefühls, das mit dem Verstand nicht zu begreifen war, und der vielen Sonntage, die er mit Großvater Rufino verbracht oder mit der Bande von kleinen Baseballspielern durch die Straßen gestreift war, genoss Mario Conde mehr als irgendwer diese sonntäglichen Mußestunden im Viertel. Und nach seinem Kaffee ging er Brot und die Zeitung kaufen, um normalerweise nicht vor dem Mittagessen zurückzukommen. Keine seiner Frauen hatte diese langweilige Gewohnheit verstanden. Du bist fast keinen Sonntag zu Hause, beschwerten sie sich, wo doch hier so viel zu tun ist. Die Sonntage gehören dem Viertel, entgegnete er ihnen kategorisch, während bereits irgendein Freund draußen rief: »Ist der Conde schon weg?«
An jenem Sonntagmorgen war er mit der trockenen Kehle eines Feuer speienden Drachen und der Erinnerung an seinen Großvater aufgewacht. Er stellte die Kaffeekanne auf den Kerosinkocher und trat vors Haus. Noch mit der Pyjamahose bekleidet, darüber einen alten wattierten Mantel, sah er auf die Straße, die wegen des kalten Wetters ruhiger war als an anderen Sonntagen. Der Himmel hatte während der Nacht aufgeklart, doch jetzt wehte ein unangenehm scharfer Wind. Er schätzte, dass es unter sechzehn Grad waren, vielleicht der kälteste Morgen des Winters. Wie immer bedauerte er, an einem Sonntag arbeiten zu müssen. Eigentlich hatte er den Hasenzahn besuchen und dann bei seiner Schwester zu Mittag essen wollen, erinnerte er sich und grüßte mit einer Handbewegung Cuco, den Metzger. Wie gehts, wie stehts, Condesito? Cuco musste an diesem Sonntagvormittag ebenfalls arbeiten.
Der Kaffee stieg wie heiße Lava im Innern der Kanne auf. El Conde tat vier Löffel Zucker in einen Krug und wartete, bis der gesamte Kaffee durch den Filter nach oben gepresst war. Dann goss er ihn in den Krug und rührte ihn um, langsam, um sich an dem bitteren, heißen Aroma erfreuen zu können. Schließlich goss er die schwarze
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