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Ein perfektes Leben

Ein perfektes Leben

Titel: Ein perfektes Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonardo Padura
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fehlt keiner.«
    Er nimmt das Blatt und hält es ins Lampenlicht. Aufmerksam liest er die Namen und Vornamen der Gäste und ihre Berufe. »Da war keiner wie ich dabei, stimmts?«, bemerkt er und sieht sie an. »Kein armer Polizist.«
    Sie verschränkt wieder die Arme und starrt in den Kamin, so als wollte sie ihn um den unmöglichen Gefallen bitten, Wärme zu spenden. »Heute Morgen ist mir schon aufgefallen, dass du dich sehr verändert hast, Mario. Warum bist du so verbittert? Warum sprichst du über dich, als tätest du dir selbst Leid? Als wären alle andern Gauner und du der Ärmste und einzig Saubere?«
    Er hört sich ihren Vorwurf an und ahnt, dass er sich in ihr getäuscht hat. Sie ist und bleibt eine intelligente Frau. Er fühlt sich schwach und hilflos, möchte sich wieder in den Sessel setzen, noch einen Whisky trinken und reden, nichts als reden. Doch er hat Angst.
    »Ich weiß es nicht, Tamara. Wir reden ein andermal darüber.«
    »Mir scheint, du fliehst vor etwas.«
    »Ein Polizist flieht nie. Er geht nur weg, und mit ihm geht seine Freude.«
    »Du bist ein schwieriger Fall.«
    »Und ein hoffnungsloser.«
    »Sag mir Bescheid, wenn was ist«, bittet sie. Sie gehen den Korridor entlang, Tamara noch immer mit verschränkten Armen. Und während Mario Conde dem Bild der Flora zuzwinkert, jenem üppigen Weib auf der farbigen Zeichnung, die gerahmt an der bevorzugten Wand des Salons hängt, fragt er sich, was Tamara Valdemira wohl alleine in diesem großen leeren Haus macht. Sich in den vielen Spiegeln betrachten?
    Der dünne Carlos inmitten der Clique, mit ausgebreiteten Armen, den Kopf leicht nach rechts geneigt. Sieht aus, als hinge er am Kreuz. Damals wusste er noch nicht, dass er später mal ein Kreuz zu tragen haben würde. Immer war er darum bemüht, im Mittelpunkt zu stehen, der Mittelpunkt zu sein. Oder vielleicht haben wir ihn auch ein wenig dazu animiert, sich als Nabel der Clique zu verstehen, in der er sich so wohl fühlte, und wir ebenfalls. Er war im Stande, einen Witz pro Minute loszulassen oder irgendeinen blöden Scherz zu machen, der sich bei jedem anderen wie eine plumpe Gemeinheit angehört und ein verlegenes Lachen hervorgerufen hätte. Er hatte lange Haare, weiß der Himmel, wie er das bei der strengen Kontrolle am Schultor geschafft hat. Damals, bereits in der 13, war er noch sehr dünn. An jenem Tag hatten wir uns an der Universität vorangemeldet. Als erste Wahl hatte er das Studienfach Ingenieurswesen angegeben. Er träumte davon, einen Flughafen, zwei Brücken und vor allem eine Kondomfabrik zu bauen, für die Produktion von Kondomen unterschiedlicher Größen, Farben, Geschmacksrichtungen und Formen, eine Produktion, die den gesamten Bedarf der Karibik decken sollte, des Teils der Erde, in dem am meisten und am besten gevögelt wird, wie er sagte. Das Vögeln war seine Leidenschaft. Als zweite Option hatte er Maschinentechnik angegeben. Dulcita steht zwischen dem Dünnen und dem Hasenzahn. Zu der Zeit ging sie mit dem Dünnen, und wenn der Dünne nicht den Gekreuzigten spielen würde, dann hätte er bestimmt seine Hand auf ihrem Po, und sie würde dazu lächeln. Denn ihr gefielen solche Schweinereien ebenfalls. Ihr Rock mit den drei weißen Streifen am Saum ist der kürzeste von allen, er reicht ihr bis weit übers Knie. Flinker als alle anderen rollte sie ihn in der Taille ein, sobald sie einen Fuß aus der Schule setzte. Und es lohnte sich, sie hatte runde Knie, kräftige lange Schenkel, Beine, für die die Bezeichnungen »wohlgeformt« und »handgemacht« erfunden zu sein schienen, und einen Hintern, wie der Dünne mit einem seiner furchtbar misslungenen lyrischen Vergleiche sagte, »so hart wie wenn man morgens um fünf mit knurrendem Magen aufstehen muss«. Aber das andere ist Plastik, sagte er, reine Kompensation, sie hat so gut wie keine Titten. Dulcita lächelt zufrieden, sie ist sich sicher, dass sie Architektur studieren und später mit dem Dünnen zusammenarbeiten wird. Sie wird die Entwürfe für seine Bauten zeichnen. Als zweite Möglichkeit hatte sie Geologie angekreuzt. Sie war nämlich ganz scharf darauf, in Höhlen zu kriechen, vor allem mit dem Dünnen, und ihrer beider Leidenschaft zu frönen: dem Vögeln. Damals war Dulcita einfach perfekt: erstklassiger Kumpel, toller Käfer, intelligent und schlagfertig. Hat sich nie mit jemandem gestritten, dir sowohl bei Prüfungen vorgesagt als auch bei den Mädchen Starthilfe gegeben. So war sie, ein echter Kumpel, ein

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