Ein perfektes Leben
Lachen.
»Schluss jetzt, es reicht«, sagte sie und trat ins Zimmer. »Lasst uns essen, es ist schon fast neun.«
»Ja, Mamachen, ich bin fix und fertig«, sagte Mario und stellte sich hinter den Rollstuhl.
»Warte, du, warte«, bat Carlos.
Der Videoclip wurde ausgeblendet, und auf dem Bildschirm erschien das übertrieben freundliche Lächeln der Ansagerin. »Verehrte Zuschauer«, begann sie, so als wäre sie begeistert, ja, glücklich über das, was sie zu sagen hatte. »Die Vorbereitungen im Estadio Latinoamericano sind praktisch abgeschlossen, sodass das erste Vorrundenspiel zwischen Industriales und Vegueros gleich beginnen kann. Bis zum Anpfiff unterhalten wir Sie mit Musikvideos.« Nach diesen Worten setzte sie wieder ihr maskenhaftes Lächeln auf und behielt es standhaft bei, bis der Videoclip eines weiteren Sängers mit einem weiteren Lied, das kein Mensch hören wollte, die gesamte schmale Breite des Bildschirms einnahm.
»Los, gehen wir«, sagte der Dünne, und sein Freund schob den Rollstuhl in den Flur. »Glaubst du, die Industriales können was reißen?«
»Ohne Marquetti und ohne Medina und mit einem verletzten Javier Méndez? Nein, Bär, ich seh schwarz für sie«, urteilte El Conde. Sein Freund schüttelte verzweifelt den Kopf. Er litt vor und nach jedem Spiel, selbst wenn die Industriales gewannen. Er dachte nämlich, wenn sie dieses Spiel gewonnen haben, dann besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass sie das nächste verlieren werden. Es war ein Leiden ohne Ende, trotz all seiner Beteuerungen, nicht mehr so fanatisch zu sein und das Baseballspiel überhaupt zum Teufel zu jagen. Früher sei es anders gewesen, sagte er, damals, mit Capiró, Chávez, Changa Mederos und all den andern. Doch Mario und Carlos wussten, dass sie beide hoffnungslose Fälle waren und dass es für den dünnen Carlos am wenigsten Hoffnung gab.
Sie setzten sich an den Tisch, und Mario beäugte Josefinas Angebot: sämige schwarze Bohnen, der Klassiker; panierte Schweineschnitzel, gut durch und doch saftig, gemäß der goldenen Schweineschnitzel-Regel; körniger Reis, schneeweiß und zart wie eine Jungfrau; Gemüsesalat, kunstvoll angerichtet und farblich ansprechend dekoriert mit rot-grün-goldenen Frühtomaten; und schließlich gebackene Bananenscheiben von grünen Bananen, ganz einfach herrlich. Dazu ein trockener roter Rumäne, sozusagen der König der Tafelweine.
»Um Himmels willen, Jose, was hast du da angerichtet?«, rief Mario aus. Er biss in eine gebackene Bananenscheibe und zerstörte die Harmonie des Salats, indem er eine Tomatenscheibe stibitzte. »Die Pest über den, der jetzt über die Arbeit redet«, warnte er und häufte sich den Teller voll, bereit, auf einen einzigen Schlag Frühstück und Mittagessen nachzuholen und das Abendmahl eines endlos scheinenden Tages zu feiern. »Oder über sonst irgendetwas«, fügte er hinzu und fing an zu schlingen.
2
Mario Conde wurde in einem lärmenden und staubigen Stadtviertel geboren, das der Familienchronik zufolge von seinem Ururgroßvater väterlicherseits gegründet worden war. Der energiegeladene Mann von den Kanarischen Inseln hatte sich für diesen vertrockneten Landstrich weitab vom Meer und von den Flüssen entschieden, um ein Haus zu bauen, eine Familie zu gründen und fern von der Justiz, die in Madrid, Las Palmas und Sevilla weiter nach ihm suchte, sein Leben zu beschließen. Das Viertel der Condes hatte niemals Wohlstand oder Vornehmheit gekannt, doch es vergrößerte sich mit dem Geschlecht des betrügerischen und durch und durch ordinären Kanaren. Er freute sich über seinen neuen Namen und seine kubanische Frau, die ihm achtzehn Kinder schenkte. Die Söhne ließ er, wenn der Moment gekommen war, schwören, dass sie ihrerseits nicht weniger als zehn Kinder zeugen würden, und auch die Sprösslinge der Töchter sollten als ersten Familiennamen den Namen Conde tragen, der sie von allen anderen Bewohnern des Viertels unterschied. Als Mario drei Jahre alt war, erzählte ihm sein Großvater Rufino Conde zum ersten Mal von dem abenteuerlichen Leben und dem Gründereifer des Ururgroßvaters Teodoro, und außerdem erfuhr der kleine Junge, dass der Mittelpunkt des Universums ein Hahnenkampfplatz sein kann. Baseball war damals ein durch das bloße Aufwachsen im Viertel erworbenes Laster, während die Hähne eine ererbte Leidenschaft waren. Großvater Rufino, ein Züchter und Abrichter von Kampfhähnen, der für sein Leben gern wettete, schleppte ihn auf alle
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