Ein Pony auf großer Wanderung
Gesprächsstoff gesorgt.
Ignaz der Schreckliche saß mitten unter ihnen und schaute zufrieden in die Runde. Bis jetzt hatte er geschwiegen und sich darauf beschränkt, aufmerksam zuzuhören. Jetzt räusperte er sich vernehmlich.
„ Wißt ihr, was mir an der Sache besonders gefällt? Daß der Vorschlag aus euren Reihen gekommen ist. Das Lob betrifft natürlich in erster Linie Peter, der trotz seiner Schmerzen und ungeachtet des Schocks, den das Ereignis ausgelöst haben muß, die Sorgen und Wünsche dieses gelähmten Jungen ernst nahm und sofort über eine Lösung nachdachte. Aber auch, daß der Vorschlag bei euch auf so fruchtbaren Boden gefallen ist, finde ich großartig. Was nun die praktische Seite angeht, würde ich empfehlen, daß wir zunächst mal einen Probeunterricht abhalten. Zwei oder drei Stunden zum gegenseitigen Kennenlernen. Danach können wir uns mit den behinderten Reitschülern und ihren Eltern zusammensetzen und einen Plan machen, wann und wie oft wir den Unterricht abhalten, wer Einzelstunden braucht und wer in einer Gruppe mitreiten kann.“
„Wir müssen ja auch erstmal hören, wie viele an den Reitstunden interessiert sind“, warf Bettina ein. „Und wie schwer ihre Behinderung ist, ob sie sich allein auf dem Pferd halten können oder geführt werden müssen.“
„Richtig. Dieser Erik wird sich sicher bald bei euch melden. Darauf möchte ich aber nicht warten“, sagte Ignaz der Schreckliche. „Wenn wir uns nun schon einmal entschlossen haben, einen Reitunterricht für Behinderte anzubieten, werde ich mich mit dem Leiter der Schule in Verbindung setzen und ihm diesen Vorschlag unterbreiten.“
Die Schüler applaudierten spontan. Das war wieder typisch Ignaz Albert! Der machte Nägel mit Köpfen.
Als Ignaz der Schreckliche am nächsten Tag das Klassenzimmer betrat, verbarg sich ein zufriedenes Grinsen hinter seinem gewaltigen Schnauzbart.
„Sportsfreunde, ich hoffe, ihr seid in jeder Hinsicht gestählt und gestärkt. Ab morgen kommt eine neue, verantwortungsvolle Aufgabe auf euch zu. Um drei Uhr werden wir mit dem Probeunterricht für die Behinderten beginnen.“
„Morgen schon? Toll!“ platzte Peter heraus, der mit bandagiertem Fuß und Krücke seitlich am Fenster saß.
„Ja“, fuhr Ignaz der Schreckliche fort, „Herr Brockfeld , der Direktor der Schule, war begeistert von unserem Vorschlag. Morgen nachmittag läßt er die ersten zehn Schüler zu uns herüberfahren.“
„Und wie sollen wir... Ich meine, wie macht man das, Behinderten Reitunterricht geben?“ fragte Gabi aus der letzten Reihe.
„Das wird sich in der Praxis zeigen. Es hängt von der Art der Behinderung ab. Tja, ich sehe da ein paar besorgte
Gesichter. Ich kann verstehen, wie einigen von euch zumute ist“, sagte der Lehrer mit ungewohntem Ernst. „Behinderte, das ist immer auch ein bißchen unheimlich, wenn man noch nicht mit diesem Problem konfrontiert war. Aber ich kann euch beruhigen. Wenn ihr euch erst damit vertraut gemacht habt, wenn es sich nicht mehr um den Behinderten X und die Behinderte Y handelt, sondern um den Erik, den Klaus, die Inge, die ihr kennt und gern habt, werdet ihr gar nicht mehr begreifen, warum ihr das Zusammensein gescheut habt. Wir werden uns morgen mit ihnen zusammensetzen und ganz offen über alles reden. Das müssen wir, weil ihr die Behinderung jedes einzelnen kennen müßt, ehe ihr ihn aufs Pferd setzt. Ihr müßt wissen, welche Körperteile er kontrollieren kann und welche nicht oder nur schwach. Wir werden ganz sachlich darüber sprechen, und ihr werdet erleben, wie eure Furcht oder innere Scheu — nennen wir’s ruhig beim Namen — sich in nichts auflöst, wenn ihr die Zusammenhänge kennt. Es kommen zwei Begleiter aus der Schule mit, die euch fachkundig beraten werden. Alles klar?
- Dann wollen wir uns dem Bild des Reiters und der Ritterlichkeit in der Lyrik des achtzehnten Jahrhunderts zuwenden. Bettina wollte uns ein Referat halten. Bitte, Bettina.“
Nur noch ein winziges Törtchen
Ignaz der Schreckliche hatte mal wieder recht gehabt: Es war gar nicht schlimm.
Mancher von ihnen hatte noch ein heftiges Flattern in der Magengrube verspürt, als der Kleinbus vor der Schulreithalle hielt, der Fahrer und die beiden Helfer zunächst die
Rollstühle, dann ihre Besitzer ausluden und sich der Zug in Richtung Außenreitplatz in Bewegung setzte.
Vor dem Platz ließ Ignaz Albert die Gäste in einem Halbkreis Aufstellung nehmen. Ihre künftigen jugendlichen Reitlehrer
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