Ein Pony mit Herz
noch dunkel war, merkte keiner, aus welcher Richtung sie kam, wenn sie die Schule betrat oder im Tiedjenschen Stall zur Morgenarbeit auftauchte.
Nur Simon hatte sie gestanden, was vorgefallen war. Gleich am nächsten Morgen, hatte sie es ihm erzählt. Von dem vergessenen Babysitten und Mutschs Zorn, der so weit gegangen war, ihr den Auszug nahezulegen. Und ausgerechnet Simon machte ihr bittere Vorwürfe!
„Du solltest wirklich mal ein bißchen über dich nachdenken!“ sagte er eindringlich. „Vielleicht geht dir dann auf, daß du total auf dem falschen Dampfer bist!“
„Wie meinst du das?“ fragte Bille überrascht.
„Na, vielleicht erinnerst du dich noch an unsere guten Vorsätze nach dem letzten Turnier! Eine ruhige Wintersaison sollte es werden. Gut, es ist einiges vorgefallen, mit dem wir nicht gerechnet haben. Aber mit dir ist es immer das gleiche: Du packst dir Arbeit auf, bis dir alles über den Kopf wächst und du mit nichts mehr über die Runden kommst. Und wenn dann in deinem Leben alles zusammenbricht, weil du nicht mehr den Durchblick hast, glaubst du, man müßte dich dafür auch noch bewundern und bemitleiden! Du hast keine Zeit mehr für mich, keine Zeit für die Familie — obwohl die dich selten genug mal um etwas bitten. Du magerst ab, bist nie ausgeschlafen, jammerst über nervöse Magenschmerzen, aber auf die Idee, dich zu fragen, was in deinem Leben nicht stimmt, darauf kommst du nicht!“
„Na, super! Hast du noch mehr von der Sorte auf Lager?“
„Im Ernst, Bille! Du glaubst immer, ohne dich ginge gar nichts. Überall mußt du mitmischen. Ob es um Lenas Pferd geht, um Minis Problem, um Olivers Eltern, um die Schulaufführung oder den Pferdemarkt - ja, ja, das sind alles wichtige Dinge. Aber vielleicht solltest du den Menschen, die dich lieben und die sich seit ewigen Zeiten die Beine für dich ausreißen, wenigstens hin und wieder einen kleinen Teil deiner Zeit reservieren. Ich will mich nicht mit dir streiten, Bille, aber tu mir einen Gefallen und denk gelegentlich auch daran!“ Damit ging er.
Bille sah ihm fassungslos nach. In diesem Augenblick empfand sie maßlosen Zorn auf ihren Freund. Sie war so sicher gewesen, daß er sie verstehen, daß er sie trösten würde! Wie konnte er sie derartig runterputzen! Wollte sie nicht für alle nur das Beste? War es schlecht, anderen zu helfen, wo es nur ging? Wenn er das nicht begriff, war es sein Problem. Sie kam auch ohne ihn aus! Wütend verließ sie den Stall und ging ins Gutshaus hinüber, wo in zehn Minuten ihr Deutschkurs begann.
Zum Glück waren die nächsten drei Tage so mit Arbeit angefüllt, daß Bille gar nicht dazu kam, traurig zu sein. Ihr Zorn auf Simon hatte sich schnell gelegt. Allzugut wußte sie, daß er recht hatte. Sie mußte lernen, auch einmal nein zu sagen und anderen eine Aufgabe überlassen. Manchmal nahm sie sich tatsächlich ganz schön wichtig als Hans Tiedjens Adoptivtochter. Glaubte, sie müsse überall mitmischen, alles unter Kontrolle haben. Sie wollte wirklich in Zukunft mehr darauf achten, nicht überall automatisch die Führungsrolle zu übernehmen.
Vorerst allerdings schien sie unentbehrlich zu sein. Ob es um das Herrichten der Polenpferde für den Pferdemarkt ging, um Fragen der Organisation von Musik und Verpflegung oder das Lampenfieber der Kleinen, die zum erstenmal Ponys in den verschiedenen Gangarten vorstellen durften, überall schien im letzten Moment alles schiefzugehen. Hier war eine Reitkappe nicht aufzufinden, da hatte man den Strom-Anschluß für die Kaffeemaschine vergessen, dort fehlte eine Bandage. Das Mikrophon funktionierte mal wieder nicht, jemand war in der Eile mit schmutzigen Stiefeln über die Zuschauerbänke geturnt, kurz bevor die ersten Kauf-Interessenten eintrafen, und Peter suchte verzweifelt seine Preisliste.
Bille fragte sich, warum eigentlich in solchen Augenblicken immer gerade ihr Name gerufen wurde, als wäre sie das Mädchen für alles. Aber es hatte wohl damit zu tun, daß sie von allen am längsten in Groß-Willmsdorf war und immer auch als persönliche Assistentin Hans Tiedjens betrachtet wurde.
Ein Tusch verkündete den Beginn der Veranstaltung. Es sollte keine Auktion werden, die Preise waren festgesetzt, doch es blieb jedem frei, für die Arbeit des Tierschutzvereins eine Spende der Kaufsumme hinzuzufügen.
Im Gänsemarsch wurden die Pferde und Ponys in die Halle geführt und in einer Reihe aufgestellt. Neben jedem stand ein Schüler in Turnierkleidung,
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