Ein Regenschirm furr diesen Tag
hervorbringen werde. Sehen Sie, es war nur eine Sektlaune. Mein Temperament geht manchmal mit mir durch. Was glauben Sie, wie oft ich schon Opfer meiner eigenen Redelust geworden bin. Das müßte genügen, so ungefähr. Die Fernsehreporterin nimmt das Mikrophon und fragt Passanten, warum sie hier sind und was sie am Hochwasser interessant finden. Die Passanten antworten nur ausweichend oder verlegen. Sie sagen Nur so oder Zufall oder Weiß nicht, oder sie machen nur Ähhh .
Mich fragt mal wieder niemand, sagt Frau Balkhausen neben mir.
Würden Sie gerne gefragt werden? Was würden Sie antworten?
Ich geniere mich natürlich auch, sagt Frau Balkhausen, aber wenn ich mich nicht genieren würde, würde ich sagen: Ich liebe Hochwasser, weil ich die Welt gerne untergehen sehe.
Frau Balkhausen lacht, ich lache mit.
Diesen Satz müssen Sie unbedingt in die Kamera sprechen, sage ich.
Aber ich geniere mich, sagt sie; wenn die Kamera auf mich gerichtet ist, kriege ich keinen Satz raus, außerdem würden sie meine Erklärung sowieso nicht senden.
Das glaube ich nicht, im Gegenteil, sage ich, heute wird nur noch gesendet, was kraß und unwahrscheinlich ist.
Aber ich geniere mich trotzdem, sagt Frau Balkhausen.
Warum?
In Wahrheit möchte ich ganz biedere Sätze sagen, ich möchte nicht auffallen.
Das glaube ich Ihnen nicht.
Sie meinen, ich möchte auffallen?
Ja.
Und wie soll ich es anstellen?
Ich gehe mit Ihnen.
Und dann?
Wir gehen scheinbar absichtslos auf die Reporterin zu, sage ich; die Reporterin wird Sie entdecken und Ihnen das Mikrophon entgegenhalten, dann sagen Sie den Satz, den Sie eben zu mir gesagt haben.
Frau Balkhausen sträubt sich ein wenig, aber sie ist auch erregt, vielleicht wirklich in eine Kamera sprechen zu können. Wir stehen auf und tun so, als wollten wir weggehen. Aber dann drehen wir uns um und gehen in Richtung Fernsehteam zurück. Die Reporterin löst sich von ihrem Team und wendet sich mit freundlichem Gesicht Frau Balkhausen zu. Es geschieht genau das, was ich vorhergesagt habe. Und Frau Balkhausen findet die Kraft, ihren Satz zu sagen: Ich habe Hochwasser gern, weil ich die Welt gern untergehen sehe.
Die Reporterin ist überrascht und erfreut und sagt: Wie originell! Und dann hakt sie nach: Aber die Welt geht doch gar nicht unter?!
Natürlich nicht, sagt Frau Balkhausen, es sieht nur so aus, verstehen Sie?
Aha, sagt die Reporterin, Sie mögen den Schein?
Ja, sagt Frau Balkhausen, den Schein und das Als-ob! Man denkt, endlich schwimmt der ganze Schrott weg, aber dann bleibt er doch, beziehungsweise er kehrt zurück! Es war alles nur eine kleine Überschwemmung, weiter nichts!
Die Reporterin lacht kurz und senkt das Mikrophon nach unten. Das ist ein hübsches Statement, sagt sie.
Werden Sie es senden? fragt Frau Balkhausen.
Ganz sicher weiß ich es nicht, aber vermutlich werden wir es senden.
Wann?
Heute um neunzehn Uhr in der Abendschau.
Die Reporterin bedankt sich und wendet sich anderen Hochwasser-Touristen zu. Aus Begeisterung henkelt sich Frau Balkhausen bei mir ein.
Es ist unglaublich, sagt Frau Balkhausen im Weggehen; ich habe tatsächlich gesagt, was ich denke, ich glaube, das ist mir noch nie passiert.
Die zweistündige Erlebnisübung, die sie bei mir gebucht hat, ist vorüber. Frau Balkhausen öffnet ihre kleine Handtasche und gibt mir das vereinbarte Honorar in Höhe von zweihundert Mark. Ich weiß nicht, ob sie die vielfältigen Hemmungen bemerkt, die in diesen Augenblicken durch mich hindurchziehen. Ich strenge mich an, keinen Gedanken an mich heranzulassen. Es klappt nicht. Ein peinliches Unbehagen breitet sich in mir aus. Dann verabschiedet sich Frau Balkhausen.
Darf ich Sie bei Gelegenheit wieder anrufen? fragt sie.
Natürlich, sage ich sinnlos eifrig und nicke auch noch.
Frau Balkhausen geht nach links in Richtung Südbrücke, die noch passierbar ist. Immer mehr Schaulustige bleiben bei der Schiffsanlegestelle stehen, die jetzt fast vollkommen unter Wasser liegt. Nur noch das Eisengeländer des Stegs schaut aus dem Wasser heraus. Das haltlos schwankende Geländer würde Frau Balkhausen vermutlich gefallen. Die Polizei beendet die Absperrungsarbeiten. Das Fernsehteam verstaut die Geräte im Wagen. Das plötzlich verlassene Ufer nimmt mich gefangen. Besonders gefällt mir ein Holzkahn, der an einem Baum festgebunden ist und in der Strömung lose hin- und herschaukelt. Er ist halb gefüllt mit Wasser, er kommt nicht mehr richtig hoch, aber er geht auch
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