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Ein reiner Schrei (German Edition)

Ein reiner Schrei (German Edition)

Titel: Ein reiner Schrei (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siobhan Dowd
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die im Zwielicht den Hügel hinaufstiegen, schwer gebeugt von ihrer Last.
    An diesem Tag nahm Shell die alte Reisetasche, die sie zum Steinesammeln immer benutzten. Sie fror und hatte Hunger. Es nieselte.
    »Dad«, sagte sie. Er saß wie üblich in seinem Sessel am Feuer, den Schürhaken lose in der Hand haltend, und starrte in die Flammen, als ob sie die Antwort auf das Rätsel des Lebens bereithielten. » Warum müssen wir eigentlich die Steine aufsammeln?«
    Er blickte auf. »Was war das?«
    »Warum müssen wir die Steine aufsammeln, Dad?«
    Er runzelte die Stirn. »Weil ich es sage. Reicht das denn nicht?«
    »Heute regnet es, Dad. Wir werden in der Schule den ganzen Tag lang nass sein bis auf die Haut.«
    »Verschwinde, Shell. Fort mit dir, aber schnell.«
    »Es ist nur …«
    Er ließ den Schürhaken fallen und kam auf sie zu, mit erhobenen Händen, als wolle er zuschlagen. »Hau ab!«
    »Ich bin schon weg«, sagte sie und schoss zur Tür hinaus.
    Trix und Jimmy kauerten bereits über dem Erdboden. Shell gesellte sich zu ihnen, gemeinsam stapften sie den Hügel hinauf. Über Nacht schienen die Steine immer wieder zurückzukehren. Ganz gleich wie viele sie aufsammelten, es waren immer noch welche da. Auf halbem Weg nach oben beugte sich Shell weit nach vorn und schaute sich durch das Dreieck ihrer weißen dünnen Beine an, wie die Welt auf dem Kopf stand. Wenn Zorn und Liebe zusammengehörten, so wie Pater Rose gesagt hatte, dann musste es bedeuten, dass sie ihren Vater liebte. Sie wusste, dass sie es früher einmal getan hatte, vor langer Zeit, als er sie in seinen Armen durch die Luft gewirbelt hatte und sie an ihm hochklettern durfte, als wäre er ein Baum. Sie konnte sich nur noch schemenhaft daran erinnern. In ihrer Vorstellung schwappte der ganze Hass aus ihrem Hirn und lief ihr zu den Ohren hinaus. Vielleicht hatte es funktioniert, denn als sie sich wieder aufrichtete, war ihr leichter zu Mute. Sie blickte über den Acker zum rostigen Gartentor, auf die andere Seite der Straße, den Hang hinauf und in die gelbe Brühe des Himmels.
    »Dank sei dir, Jesus, für die Steine«, sagte sie.
    Jimmy warf mit einem nach ihr. »Ich hasse die Steine«, sagte er. »Ich hasse Jesus. Ich hasse dich.«
    Der Stein traf sie mit voller Wucht am Bauch. Shell rieb sich die Stelle, dann sah sie Jimmy in die Augen. Sein Gesicht war verzerrt, zwischen den Sommersprossen stach das Weiß hervor. Sie wusste, dass sie in letzter Zeit sehr streng mit ihm gewesen war. Erst vor kurzem hatte sie ihn geschlagen, als er einen ihrer frisch gebackenen Scones vom Gestell gestohlen hatte, wo sie abkühlen sollten. Und als er vergangenen Sonntag zum Jahrmarkt wollte, hatte sie patzig abgelehnt. Sie wäre selber gern gegangen, aber sie hatten kein Geld. Ohne Moos nichts los, hatte sie gesagt – seither hatte er nicht mehr mit ihr gesprochen.
    Sie breitete die Arme aus. »Wirf noch einen«, sagte sie.
    Jimmy schaute zu Trix, Trix schaute zu Jimmy. »Los, macht schon«, sagte Shell. »Alle beide. Für die Liebe Gottes.«
    Sie hoben zwei Steine auf und warfen sie. Der eine verfehlte Shell, der andere streifte ihre Wange.
    »Weiter. Habt keine Angst.« Scones, dachte sie lächelnd. Keine Steine. Stell dir vor, es sind weiche, leichte Scones.
    Wieder warfen sie. Von der Straße hörte Shell das Geräusch eines Wagens, der sich den Hang hinaufmühte. Beim dritten Wurf schrie sie unwillkürlich auf.
    »Weiter«, presste sie hervor.
    »Nein«, sagte Trix. »Is ja langweilig.« Sie rannte davon, das Feld hinunter, und sang dabei irgendetwas vor sich hin. Aber Jimmy hob einen großen Stein auf, so groß wie drei Scones auf einmal. Er schielte, als ob der Teufel durch sein Auge einen kurzen, verstohlenen Blick riskierte.
    »Der hier wird aber wehtun!«
    »Ganz recht, Jimmy. Guter Junge. Wirf ihn.«
    Ächzend stemmte er ihn mit beiden Händen hoch bis zur Schulter, wie eine verkleinerte Version von Superman.
    »Los«, sagte Shell. »Tu es.«
    »Halt.« Eine Stimme, dunkel und tief wie ein unterirdisches Erdbeben, schallte zu ihnen herüber. Shell schloss die Augen.
    »Tu es«, flüsterte sie. Ein Luftzug wehte durch ihre Stirnfransen. Hinter ihren geschlossenen Augenlidern explodierten gelbe Raketen.
    »Lass ihn fallen, Junge!« Es war ein Befehl, nachdrücklich, aber nicht barsch. Shell öffnete die Augen. Der Teufel fuhr auf der Stelle aus Jimmy heraus. Sie drehte sich um. Pater Rose hatte am Gartentor gehalten. Im grellen Morgenlicht, das durch die

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