Ein Ring von Tiffany - Roman
vorsichtig hindurch, aber sie sah nur den leeren Flur. Genau so wurde man in New York Opfer eines Raubüberfalls oder einer Vergewaltigung - indem man sich von einem kriminellen Superhirn mit einem Trick überlisten ließ, die Wohnungstür zu öffnen. Darauf fall ich noch lange nicht rein , dachte sie, während sie leise die Nummer des Portiers ins Handy tippte. Es spielte keine Rolle, dass es ihr Haus in Sachen Sicherheit mit dem Hauptquartier der Vereinten Nationen aufnehmen konnte. Dass sie in den acht Jahren, die sie nun schon in New York lebte, noch nie jemanden kennengelernt hatte, der auch nur von einem Taschendieb beklaut worden war. Dass es nicht gerade wahrscheinlich
war, dass sich ein durchgeknallter Killer in einer Anlage mit mehr als zweihundert Wohnungen ausgerechnet ihre als Angriffsziel ausgesucht haben sollte; denn genau so fingen solche Geschichten immer an.
Nach vier endlosen Sekunden meldete sich der Portier.
»Gerard, hier Leigh Eisner aus 16D. Da ist jemand vor meiner Tür. Ich glaube, es ist ein Einbrecher. Würden Sie bitte mal raufkommen? Soll ich die Polizei anrufen?« Sie konnte sich kaum verständlich machen, so schnell purzelten ihr die Worte aus dem Mund, während sie unruhig in der kleinen Diele auf und ab lief und eine Nicorette-Tablette nach der anderen einwarf.
»Miss Eisner, ich schicke Ihnen selbstverständlich sofort jemanden hinauf, aber könnte es nicht sein, dass Sie sich irren? Miss Solomon ist vor wenigen Minuten eingetroffen und wollte gleich zu Ihnen. Und da sie auf Ihrer Besucherliste steht, habe ich sie nicht angemeldet.«
»Emmy ist hier?«, fragte Leigh. Ihr naher Tod durch Krankheit oder Mord war vergessen. Sie riss die Tür auf. Die Knie bis zum Kinn hochgezogen, kauerte Emmy vor ihr auf dem Fußboden. Sie wiegte sich hin und her, das Gesicht nass von Tränen.
»Miss, kann ich sonst noch etwas für Sie tun? Soll ich...?«
»Danke für Ihre Hilfe, Gerard. Alles in bester Ordnung«, antwortete Leigh. Sie klappte das Handy zu und stopfte es in die Tasche ihres Kapuzenshirts. Ohne lange zu zögern, kniete sie sich neben ihre Freundin und nahm sie in den Arm.
»Was hast du denn, um Gottes willen?«, fragte sie und strich ihr das von Tränen feuchte Haar aus dem Gesicht.
Ihre Fürsorge löste einen neuerlichen Weinkrampf aus; Emmy schluchzte so heftig, dass ihr schmaler Körper bebte. Leigh überlegte. Für einen solchen Kummer konnte es nur drei Gründe geben: ein Todesfall in der Familie, ein bevorstehender Todesfall in der Familie oder - ein Mann.
»Geht es um deine Eltern? Ist ihnen etwas passiert? Oder Izzie?«
Emmy schüttelte den Kopf.
»Rede mit mir, Emmy. Ist es wegen Duncan?«
Ein gequälter Aufschrei, der Leigh bis ins Mark traf. Bingo.
»Es ist aus«, rief Emmy mit überschnappender Stimme. »Aus und vorbei.«
Zwar hatte Emmy im Lauf der fünf Jahre, die sie mit Duncan zusammen war, schon achtmal das Ende ihrer Beziehung verkündet, aber noch nie so endgültig wie heute Abend.
»Ach, Emmy. Meinst du nicht, das renkt sich wieder ein?«
»Er hat eine andere.«
»Er hat was?« Leigh ließ die Arme sinken.
»Sorry, das muss ich umformulieren: Ich hab ihm eine andere gekauft!«
»Was um Himmels willen soll das denn heißen?«
»Weißt du noch, dass ich ihm zu seinem einunddreißigsten Geburtstag die Mitgliedschaft im Fitnessstudio geschenkt habe, weil er unbedingt wieder in Form kommen wollte? Und dann ist er nie hingegangen, nicht ein einziges Mal in zwei Jahren, weil er - ich zitiere - mit seiner kostbaren Zeit etwas Sinnvolleres anfangen kann, ›als auf einem Laufband auf der Stelle zu joggen‹. Und was mache ich, ich Superhirn? Statt die Sache auf sich beruhen zu lassen, bezahle ich ihm ein paar private Übungsstunden - bei einer Frau -, um ihm das Normalsterblichentraining zu ersparen.«
»Ich glaub, ich kann mir vorstellen, wie es weitergeht.«
»Ach ja? Du denkst, er hat sie gefickt?« Emmy lachte freudlos auf. Manche Leute waren überrascht, dass sich ein Persönchen wie Emmy auch derb ausdrücken konnte - schließlich war sie nur eins fünfzig groß und sah aus wie ein Teenager -, aber Leigh war so daran gewöhnt, dass sie es kaum noch hörte. »Tja, das dachte ich auch. Aber es ist noch viel, viel schlimmer.«
»Das hört sich doch wirklich schon schlimm genug an.« Eine volle Breitseite Mitgefühl war alles, womit Leigh sie trösten konnte, aber sie schien damit nicht viel auszurichten.
»Du fragst dich bestimmt, was noch
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