Ein Schöner Ort Zum Sterben
Richtungen. Es war definitiv Zeit, sich in Sicherheit zu bringen. Wer auch immer dort geschossen hatte, wollte offensichtlich verhindern, dass sie Matthew Erste Hilfe leistete. Nicht, dass ihm noch zu helfen gewesen wäre. Doch der Attentäter wollte jeden Zufall ausschließen. Das drängendste Problem war, wo Meredith in Deckung gehen sollte? Sie wusste nicht, aus welcher Richtung der Mörder geschossen hatte. Sie warf sich hinter den nächsten Grabstein und kauerte sich zusammen. So, dachte sie, muss sich ein Feldhase fühlen, wenn die Arbeiter das ganze Feld abgeerntet haben und nur noch ein kleiner Fleck in der Mitte verschont geblieben ist. Jeden Augenblick werden die Terrier von der Leine gelassen und scheuchen das Wild auf, das dann draußen auf dem Stoppelfeld von den Männern mit den Flinten abgeknallt wird.
»Er ist tot!«, brüllte Meredith, weil es wahrscheinlich das war, was der Mörder wissen wollte. Es gab keinen Grund für ihn – wer auch immer er sein mochte –, anschließend auch sie zu töten. Der zweite Schuss hatte sie in Angst versetzen sollen, weiter nichts. Und eigentlich sollte sie auch Angst empfinden, eine Menge Angst! Doch perverser Weise verspürte Meredith genau in diesem Augenblick, als der Wind ihre Worte über den Friedhof wehte, bloß Zorn über die Ungerechtigkeit und Unfairness des Ganzen. Dies war das zweite Mal innerhalb weniger Wochen, dass jemand sie mit einer Waffe bedroht hatte. Zumindest hatte sie beim ersten Mal genau gewusst, wo Reeves sich aufgehalten hatte. Diesmal hatte sich der Mörder versteckt, und das wichtigste war, herauszufinden, wo die Bedrohung herkam. Auf dem Friedhof herrschte sprichwörtlich Grabesstille. Alle Vögel waren geflüchtet. Von der Stelle aus, wo Meredith kauerte, konnte sie keine weitere Menschenseele ausmachen. Die gesamte Gegend wirkte völlig verlassen. Doch die Stelle zwischen Merediths Schulterblättern kitzelte unangenehm in dem Wissen, dass sie nicht ganz verlassen war. Und die ausgestreckte, leblose Hand des Toten erinnerte Meredith überdeutlich daran, dass der Heckenschütze sein Handwerk verstand. Sie spähte vorsichtig um den Grabstein herum, hinter dem sie in Deckung gegangen war. Er war neu, und zu seinen Füßen lag ein verwelkter Trauerkranz. Auf dem Band, das noch immer daran befestigt war, stand in verblassenden Buchstaben
»Lynne – geliebte Tochter« zu lesen. Meredith fand keine Zeit, um über diesen traurigen Zufall nachzudenken. Auf der anderen Seite des neuen Friedhofs, hinter der Mauer und mitten im alten Kirchhof, stand die Kirche. Der erste Schuss schien von dort gekommen zu sein. Das Gebäude stand während des Tages offen, denn Vater Holland war der Meinung, dass die Menschen Gelegenheit zur Andacht haben sollten, wenn ihnen danach war. Meredith hob den Blick. Der Kirchturm besaß ein tief heruntergezogenes Dach. Dort, wo das Gemäuer in das spitze Dach überging, befand sich eine umlaufende Brustwehr, die aus dem Turminnern zugänglich war. Ebenerdig gab es eine ständig verschlossene Tür, die in den Turm hinaufführte, doch eine weitere, im Innern der Kirche, stand häufig offen. Als Meredith zur Brustwehr sah, meinte sie, eine Bewegung und dann ein Glitzern wie von einer spiegelnden Oberfläche zu erkennen. Der Schütze saß dort oben, und er hatte ein ungehindertes Schussfeld auf alles, was sich hier unten am Boden bewegte. Es war ein hässlicher Gedanke. Wenn jetzt nicht der Zeitpunkt gekommen war, um in Panik zu geraten, dann hatte Meredith Mühe, sich einen besseren auszudenken. Sie kämpfte um ihre Beherrschung und versuchte, logisch zu denken. Sie versetzte sich in die Lage des Mörders. Nachdem er sein Ziel, Matthew zu töten, erreicht hatte, würde er jetzt wahrscheinlich versuchen zu entkommen. Irgendjemand anderes konnte den Schuss gehört haben und vorbeikommen, um die Sache zu untersuchen. Der Schütze hatte vielleicht keine Munition mehr. Falls er noch welche hatte, gab es keinen Grund, sie auf Meredith zu verschwenden, die, solange sie hinter dem Grabstein hockte, keine Gefahr für ihn darstellte. Wenn er sie hätte töten wollen, hätte er es schon längst tun können. Der Grabstein bot keine wirkliche Deckung. Nichtsdestotrotz war es schwer, sich nicht wie eine sitzende Ente zu fühlen. Die kleine Gruppe junger Bäume beim Wasserhahn, wo sie kurze Zeit zuvor Wasser für die Blumen geholt hatte, bot bessere Deckung. Außerdem stand dort der Geräteschuppen des Totengräbers, auf den Matthew
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