Ein schottischer Sommer: Roman (German Edition)
lächelte nur und zuckte mit den Schultern. „Nicht so wichtig“, meinte er und erhob sich aus seinem Sitz. „Komm! Nichts wie raus hier.“
Vor dem Flughafengebäude erwartete uns eine junge Frau, die sich als Lori Innes vorstellte und Ryan die Schlüssel für einen großen, grünen Landrover in die Hand drückte.
„Der Tank ist voll“, sagte sie. „Und der Professor hat eben noch mal angerufen und gesagt, dass ihr nicht zum Hotel fahren sollt. Ihr könnt wohl auf der Burg übernachten.“
„Na wunderbar!“, rief Lucas und zwinkerte mir zu. „So bekommt Jo gleich den richtigen Einstieg.“
Ryan, Finn und Lucas hatten mir während des Fluges nur kurz berichtet, was es mit der von Professor Sutherland erwähnten Burg auf sich hatte. Angeblich sollte es dort spuken, nachdem Arbeiter eine Wand eingerissen hatten.
Ich hielt mich und meine Meinung über eventuelle Gespenster geflissentlich zurück, um nicht unversehens gegen eine Mauer aus verletztem männlichen Stolz zu rennen, doch mir kam das alles vor, als befände ich mich mitten in einem John-Sinclair-Roman, daher betrachtete ich das Ganze auch als nicht allzu ernstzunehmendes Schaustück.
„Wie weit ist es eigentlich?“, fragte ich, als wir unser Gepäck im Kofferraum verstaut hatten und Finn nebenbei bemerkte, dass ich es mir ruhig gemütlich machen sollte.
„Knapp drei Stunden“, kam die Antwort, woraufhin ich noch schnell mein Wasser und ein Buch aus dem Rucksack nahm und mich auf den Rücksitz setzte. Ryan hatte endlich wieder eine gesunde Gesichtsfarbe und übernahm mit einem befreiten Lächeln das Steuer. „Alle da? Alle bereit?“
„Nun mach schon! Ich will hier keine Wurzeln schlagen“, rief Lucas, der sich neben mir niederließ und fröhlich sein zweites Bier an diesem Morgen öffnete.
Die Landschaft um Inverness herum war durchzogen von geradlinig angelegten Kornfeldern, dichten, dunkelgrünen Wäldern und in mehreren Farben leuchtenden Berghängen. Ich hatte es mir nicht so schön vorgestellt. Je weiter wir nach Nordwesten fuhren, umso mehr veränderte sich die Landschaft; Kornfelder und Wälder wurden nach einiger Zeit von immer neuen riesigen Bergketten abgelöst, hinter denen langgestreckte, tiefblaue Seen auftauchten. Zum ersten Mal dachte ich: Wenn es denn Geister und Gespenster geben sollte – was natürlich nicht der Fall sein konnte, aber wenn–, dann war es nicht weiter verwunderlich, dass es sie hier gab. Die Gegend selbst wirkte fast gespenstisch, jedoch keineswegs im gruseligen Sinne, nein, eher wie die gespannte Erwartung als Kind, wenn der Weihnachtsmann vor der Tür stand.
„Du warst noch nie in Schottland, oder?“
Ich wandte mich um und sah, dass Lucas mich mit leicht geneigtem Kopf betrachtete. Ich lächelte. „Nein. Es ist wirklich schön hier.“
„Ja, das ist es. Ich bin in den Lowlands aufgewachsen. Als ich das erste Mal hier oben war, wusste ich gleich, dass ich für immer bleiben würde.“
„Es hält einen schon irgendwie gefangen, das muss ich zugeben. Wo kommst du her, Finn?“
„Meine Mutter ist Irin, mein Vater Isländer. Ich bin in der Nähe von Reykjavík groß geworden. Aber ich lebe schon fast zehn Jahre hier in Schottland. Bei uns gibt’s nur Feen und Elfen, und die stehen unter Staatsschutz.“
„Staatsschutz?“, fragte ich und bemühte mich, nicht zu lachen.
„Genau. Eine Lizenz, um sie zu jagen, ist schwer zu bekommen.“
„Hey, Jungs!“, meinte ich. „Mal ehrlich! Ihr glaubt doch nicht wirklich an all dieses Zeug, oder?“
Ich sah, wie Ryan mir im Rückspiegel einen ernsten Blick zuwarf, während Lucas und Finn Stein und Bein schworen, nichts von alldem zu glauben.
„Gegenfrage“, sagte Ryan. „Warum glaubst du nicht daran?“
„Ist die Frage ernst gemeint?“
„Aye.“
„Na gut!“, entgegnete ich und strich mir eine Haarsträhne aus den Augen. „Es gibt keinen zuverlässigen Beweis für die Existenz von Geistern.“
„Da hast du recht. Es gibt aber auch keinen Beweis, dass es sie nicht gibt.“
„Ja, schon, aber ich bitte dich – Gespenster?“
„Glaubst du an Gott, Jo?“
„Ich bin religionslos.“
„Das ist keine Antwort auf meine Frage.“
Mir wurde klar, dass auch er mein Essay gelesen hatte und anscheinend nicht nur einmal, denn meine versteckte Anspielung auf die mögliche Existenz eines Gottes gemeinhin war nicht auf Anhieb zu entdecken.
„Ich glaube nicht an Gott im Speziellen, nein“, sagte ich, „ich glaube an – etwas. Der
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