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Ein seltsamer Ort zum Sterben

Ein seltsamer Ort zum Sterben

Titel: Ein seltsamer Ort zum Sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Derek B. Miller
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nur sechzig Jahre nach der Besatzung durch die Nazis so optimistisch sein? Sind wir bescheuert?
    Vielleicht ist es auch eine Generationenfrage, was erklären würde, weshalb ältere Menschen eher für die konservativeren Parteien stimmen.
    Was soll man da tun, außer zum
Vinmonopolet
zu gehen und sich was zu Trinken zu holen?
    Sigrid ist kein politischer Mensch – außer wenn sie sich über Politiker ärgert –, doch mit einem Mal wird ihr bewusst, dass man auf zwei verschiedene Arten handeln kann. Auf der Basis von Überzeugungen und auf der von Beweisen. Und wenn die Wahl auf die Überzeugungen fällt, dann muss man Liberale und Konservative gleichermaßen mit jenen Leuten in einen Topf werfen, die mit dem Bauch und nicht mit dem Kopf regieren. Die einzige Entscheidung, die es da zu fällen gilt, ist, ob einem bei ihren Ansichten warm ums Herz wird oder nicht. Auf der anderen Seite gibt es dann diejenigen, die möchten, dass sich unsere Welt zum Guten verändert, und dies zu erreichen versuchen, indem sie den Tatsachen ins Auge sehen. Für Sigrid ist es kein bloßer Zufall, dass Ärzte und Ingenieure sich weniger in die Haare kriegen als Politiker.
    Enver Bardhosh Berisha. UÇK . Wegen nachweisbarer Todesdrohungen in Serbien ins Land gelassen, hat außerdem einen Sohn in Norwegen.
    UÇK . Die kosovarische Befreiungsarmee. Eine paramilitärische Organisation, die anfangs vom Westen und der NATO in ihrem Kampf gegen den Terror der serbischen Milizen unterstützt wurde, diese Unterstützung dann aber einbüßte, weil ihre Verwicklung in Drogengeschäfte, Exekutionen, Massenmord und andere Grausamkeiten jegliche moralische Glaubwürdigkeit in Frage stellte. Der Rest Europas war vollkommen verwirrt, und da sich Gut und Böse nun nicht mehr eindeutig unterscheiden ließen, haben wir einfach auf einen anderen Kanal umgeschaltet.
    Sigrid legt die Akte auf den Tisch, reibt sich die Augen und ruft dann laut: «Meine Birne ist kaputt», was aus irgendeinem Grund ihr Team zum Lachen bringt. Daher sagt sie: «Ich brauche eine neue Birne!», und alle lachen nur noch lauter.
    Typisch für militante Kämpfer ist, dass sie Ansehen genießen. Man arbeitet sich hoch und wird von den Leuten anerkannt. Wenn die Gruppe auseinanderbricht, verliert man das eine, das während des Aufstands wichtig war: den Respekt.
    Würde ein Mann wie Enver – ein erfahrener Soldat, der Menschen umgebracht hat, der weder Familie noch Reichtümer besitzt und völlig wurzellos ist –, würde so einer sich plötzlich nicht mehr um seinen Ruf scheren, den Kampf aufgeben und in ein entlegenes skandinavisches Land flüchten, um ein friedlicher Familienmensch zu werden? Was für eine Art von Frau würde so einen Mann überhaupt wollen?
    Sigrids Gedanken wandern von der Zentrale zu ihrem Vater am Küchentisch. Sie erinnert sich an ein Gespräch, in dem er ihr einmal etwas Wichtiges erklärt hatte, was sie seitdem nur unter großen Schwierigkeiten anderen hatte vermitteln können.
    «Alles ist künstlich», hatte er mit ungewohntem Ernst verkündet.
    «Du meinst, es ist alles bedeutungslos?»
    «Nein», erwiderte er. «Das meine ich ganz und gar nicht.» Er machte eine sehr lange Pause, bevor er weitersprach. Ihr Vater war ein schlichter Mensch und hatte nichts übrig für rhetorische Pausen. Ihm war eher daran gelegen, präzise zu sein. Und das erforderte eben manchmal Zeit zum Nachdenken. Wenn andere in der Zwischenzeit die Geduld verloren, dann hatten sie eindeutig kein Interesse an der richtigen Antwort.
    «Was ich sagen will», fuhr er fort, «ist, dass Gebäude, die Schreibtische, die großen Strukturen allesamt Produkte von Ideen sind. Von Bedeutung sind also gar nicht die Gebäude. Sondern die Ideen. Weil Gebäude prächtig und teuer sind, Ideen aber schwer zu greifen, lassen wir uns leicht von den Gebäuden blenden – darin liegt die Künstlichkeit. Sie lenken uns nämlich von den Ideen ab, die sie füllen. Menschen stehen auf den Stufen vor einem großen Gebäude und betreten es ehrfurchtsvoll. Warum? Ideen wissen nicht, wo sie ihren Ausdruck finden. Wenn ich Geschichtsbücher lese, dann lese ich darin nichts über die großen Gebäude; ich lese etwas über die Ideen von großen Reichen. Sie alle stellten ähnliche Fragen, kamen aber zu ganz unterschiedlichen Resultaten. Es ist eine Tatsache, dass wir beim Vergleich einzelner Welten feststellen, dass diese ganz unterschiedlich sind.
    Der interessante Punkt dabei ist folgender: Damit diese Welten

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