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Ein seltsamer Ort zum Sterben

Ein seltsamer Ort zum Sterben

Titel: Ein seltsamer Ort zum Sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Derek B. Miller
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und sogar mit monatlichen, vom Steuerzahler finanzierten festen Bezügen ausgestattet hat, um ihm «dabei zu helfen, wieder auf eigenen Füßen zu stehen».
    Ihr Gespräch mit dem Kollegen von der Immigrationsbehörde war angespannt und wenig zielführend verlaufen, und es hatte im Missklang geendet.
    «Wenn sie bei uns ankommen, haben sie nichts», hatte der unverbesserliche Idealist am anderen Ende der Leitung gesagt. «Wie bitte sollen die Leute sich integrieren ohne ein bisschen Unterstützung?»
    «Wir stecken sie in Ghettos am Stadtrand, wo sie sich zu Banden zusammenschließen. Inwieweit hilft das irgendwem weiter oder stärkt das Norwegen?»
    «Das ist ja nur vorübergehend», hatte der Mann gekontert. «Abgesehen davon greifen unsere pschosozialen Maßnahmen am besten, wenn die Menschen in größeren Gruppen zusammenleben. Die Kosovaren haben einen schrecklichen Krieg mitgemacht, sie sind traumatisiert. Sie kennen doch die Bilder ja aus den Nachrichten.»
    Sigrid seufzte. Alles, was die Leute von der Immigrationsbehörde verbockten, landete früher oder später auf ihrem Schreibtisch. Sie hatte die Theorie entwickelt, dass deshalb so viele ihrer Landsleute denselben gemeinschaftlichen, optimistischen und wohlwollenden Ansatz auf jedes beliebige Problem anwendeten, egal ob heimisch oder international, weil ihnen das half, sich stärker als Norweger zu fühlen. Vielleicht war es genau das, was sie erst zu Norwegern machte?
    Es war nicht dieses zwanghafte Gut-sein-Wollen, das sie störte. Dafür hegte sie sogar Bewunderung. Nein, es war die Art, wie sie jedes Problem mit ein und derselben Haltung angingen, ohne über die Natur des Problems nachzudenken. Damit kam keiner weiter. Analyse und Schlussfolgerung müssen zusammenpassen, alles andere ist weltfremd und unrealistisch.
    Ihr Vater – und, soweit sie das zu beurteilen vermochte, seine ganze Generation – war lange nicht in diesem Maße von der eigenen Gutherzigkeit überzeugt. Das war eindeutig ein neuer Trend, der ihr ganz und gar nicht schmeckte.
    «Wussten Sie, dass ein großer Teil des Heroins in Europa über den Balkan reinkommt? Eine Menge davon wiederum über den Kosovo?», hatte sie zu dem Integrationsfuzzi gesagt, denn sie konnte manchmal einfach nicht die Klappe halten. «Ihr habt ihnen nicht bei der Integration geholfen. Ihr habt einen neuen isolierten Knoten in diesem Netzwerk erschaffen.»
    «Das ist Fanatismus», hatte der Mann tatsächlich gesagt.
    «Nein, das ist eine Tatsache», hatte Sigrid geantwortet. Und weil das Gespräch eh zu nichts führte, verabschiedete sie sich knapp und legte auf.
    Die Sonne steht inzwischen endlich unter dem Horizont, und sie knipst die Schreibtischlampe an. Mit einem
Plopp!
brennt der Glühfaden durch.
    Enver Bardhosh Berisha, auch unter dem Namen Miftar Vishaj bekannt. Sigrid hält die Akte ins Dämmerlicht und lehnt sich weit in ihrem Stuhl zurück. Dieser Mann, dieser Mörder, ist hier. In Oslo. Es gibt eine Akte über ihn, aber es liegt nichts gegen ihn vor. Kein Haftbefehl. Kein Auslieferungsgesuch der Serben. Er ist hier mit Billigung der norwegischen Regierung, kauft sich vom Geld des Steuerzahlers Straßenbahnfahrscheine und Zigaretten. Das hätte sie nicht so sehr in Rage gebracht, wären all diese Tatsachen nicht so klar in der Akte dargelegt gewesen. Die Immigrationsbehörde wusste, dass er Mitglied der kosovarischen Befreiungsarmee wie auch der Todesschwadronen gewesen und dass er vor der serbischen Regierung auf der Flucht war. Irgendwie waren all diese Informationen zu seinen Gunsten verwendet worden, um ihm Asyl zu gewähren. Musste er nicht tatsächlich um sein Leben bangen? War nicht mittels eines neuen DNA -Tests nachgewiesen worden, dass er einen Sohn im Lande hatte und daher von Norwegens Bestrebungen profitieren durfte, Familien zusammenzuführen?
    Warum haben die Serben nicht versucht, ihn zu schnappen? Sie kann nur spekulieren. Vielleicht haben sie es ja versucht, und sie weiß nur nichts darüber. Vielleicht planen sie, ihn still und heimlich umzulegen, Serbien hatte ja die Todesstrafe 2002 abgeschafft. Vielleicht sind sie froh, ihn los zu sein, und möchten, das Gras über die Sache wächst. Vielleicht wissen sie Bescheid über seine Familie und sind besorgt, dass ein Verfahren gegen ihn nur ihre eigenen Verbrechen in den Fokus internationaler Nachforschungen rücken könnte.
    Es gibt so vieles, was durchs Raster fällt. Der Schleier einheitlicher Rechtsprechung wird stets von

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