Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein seltsamer Ort zum Sterben

Ein seltsamer Ort zum Sterben

Titel: Ein seltsamer Ort zum Sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Derek B. Miller
Vom Netzwerk:
gebogene Draht Widderhörner bildet. Dann steckt er die Kartonröhren auf die Hörner und umwickelt beide sehr locker mit Alufolie.
    Das Ergebnis ist so etwas wie «Wikinger im Weltraum».
    Befriedigt stülpt Sheldon die Konstruktion Paul über und zieht ihn dann zum Spiegel, damit er sich selbst betrachten kann. Mit dem Ausdruck von jemandem, der einer Schwangeren ein Motorrad zu verkaufen versucht, grinst Sheldon Paul im Spiegel an.
    «Paul, der Wikinger! Paul, das vollständig verkleidete albanische Kind, das nicht mit einem alten Zausel auf der Flucht durchs norwegische Hinterland ist! Na, was meinst du?
    Oh, halt, warte! Noch etwas. Was ist ein Wikinger – ein
viking
, wie die Norweger sagen – ohne Streitaxt oder etwas ähnlich Zerstörerisches? Wenn ich das Parteiprogramm der Republikaner dahätte … aber so … Ach, nehmen wir eben einen Holzlöffel!»
    In der Küche findet Sheldon einen hübschen abgenutzten Kochlöffel und steckt ihn Paul in den Ledergürtel.
    Dann tritt er einen Schritt zurück und begutachtet das Ganze.
    «Eins fehlt noch.» Mit diesen Worten zeichnet Sheldon mit einem Filzstift, den er vorhin in einer der Küchenschubladen entdeckt hatte, ein altes Symbol auf Pauls Wikingerbrust.
    Sheldon ist zufrieden mit sich.
    Paul, von dem wohl ungewohnten Gefühl beseelt, zur Abwechslung einmal wichtig zu sein, wirkt gar nicht mehr wie ein heimlich an Bord geschmuggelter Paddington. Er geht ins Elternschlafzimmer, um vor dem Spiegel zu posieren.
    Sheldon nutzt die kleine Pause in seinem Kinderbeaufsichtigungsprogramm, um seine Feldflasche aufzufüllen, ein paar Cracker und den Rest des Elchfleischs einzupacken.
    Er lässt die Hintertür offen stehen und geht nach draußen, hinunter zum Pier, um nach dem Boot zu schauen, das sie sich in Oslo ausgeborgt haben. Die Sonne steht bereits hoch über dem Horizont, obwohl es erst acht Uhr morgens ist. Die Morgenluft ist frisch, aber das ist nur der Hinweis auf ein Hoch mit konstant gutem Wetter. Er könnte ohne Probleme den Fernseher einschalten und den Wetterbericht gucken, befürchtet aber, dass womöglich der Mord in den Nachrichten erwähnt wird. Jeder Moment, in dem Paul nicht das Gesicht seiner Mutter sieht oder ein wenig Ruhe oder Ablenkung von der Realität da draußen hat, ist ein Segen, den Sheldon nicht aufs Spiel setzen möchte.
    Mit den Händen auf den Hüften geht Sheldon zum Pier hinaus und lässt den Blick zu der Stelle schweifen, an der er gestern Abend das Boot vertäut hat. Es ist ein schöner Fleck, leicht schattig, kaum einzusehen. Die Art von Ort, an dem man sich auf einer Decke zum Picknick mit dem oder der Liebsten niederlassen und Steine ins Wasser werfen würde. All das kann er jetzt sehr gut überblicken, denn das Boot versperrt nicht mehr die Sicht.
    Huch?
    Kann sein, dass ein paar Teenager es sich ausgeliehen haben oder dass es vielleicht sogar abgetrieben ist. Egal, warum – das Ergebnis bleibt gleich. Sie haben nun eine Option weniger.
    «Umso besser», sagt Sheldon leise, als er sich endlich vom Wasser abwendet.
    Vom Pier aus entdeckt der alte Kundschafter-Scharfschütze etwas, das seinen Adleraugen bislang entgangen war, nämlich zwei breite Reifenspuren, die vom Uferrand zur Rückseite der Garage neben dem Haus führen.
    Da er schließlich nichts Besseres zu tun hat, folgt Sheldon den Spuren. Die Garage sieht aus wie eine kleine amerikanische Scheune, nur dass sie nicht rot, sondern in demselben Hellblau gestrichen ist wie das einsame Haus, das dem Paar mit der krebskranken Frau gehört.
    Die Garagentüren sind weiß gestrichen, in Augenhöhe sind Fenster eingelassen. Sheldon stellt sich wieder so hin wie gestern Abend mit Paul und presst die Nase gegen die Scheibe, um hineinzuspähen. Auch auf der gegenüberliegenden Seite gibt es Fenster, aber von dort dringt kein Licht in den schummrigen Raum. Das Einzige, was er sagen kann, ist, dass irgendetwas Langes, Wuchtiges den dunklen Raum ausfüllt.
    Sheldon drückt die Klinke herunter, muss aber zu seiner Überraschung feststellen, dass abgeschlossen ist.
    Dies ruft ihm Lektion Nr. 2 seines Ausbilders in Erinnerung.
    Wenn du keinen Hammer zur Hand hast, suche nach dem Schlüssel.
    Es gab wirklich nichts, was zu banal gewesen wäre, um nicht Eingang in den Unterricht des United States Marine Corps zu finden.
    In der Küche, wo er den Filzstift gefunden hat, lag auch ein Schlüsselbund, jeder Schlüssel ist mit einem Etikett versehen. Natürlich alles auf Norwegisch, aber das

Weitere Kostenlose Bücher