Ein Sohn für den Scheich
auf dem Sonnendeck lediglich Rafiq antraf.
“Wo ist Hassan?”, fragte sie ihn.
“Er bringt den Lotsen auf die Brücke, der uns auf der Fahrt durch den Suezkanal begleitet”, antwortete Rafiq und bot Leona einen Stuhl an. “Darf ich dir einen Tee einschenken?”
“Sehr gern”, erwiderte Leona, weil sie hoffte, das flaue Gefühl im Magen würde sich legen, wenn sie erst eine Tasse Tee getrunken hatte. Hassans Ankündigung hatte sie offenbar nervöser gemacht, als sie sich eingestehen mochte.
“Schlafen die anderen Gäste noch?”, erkundigte sie sich, um ihre Aufregung zu überspielen.
“Hassan hat ihnen das Frühstück in ihre Kabinen bringen lassen”, lautete die Antwort, die sie in ihrem Verdacht bestärkte, dass sie etwas Unangenehmes erwartete.
Wie aufs Stichwort betrat in diesem Augenblick Hassan das Sonnendeck. Nachdem er seine Frau mit einem Kuss auf die Stirn begrüßt hatte, setzte er sich neben Rafiq und trug dem Diener auf, Kaffee zu bringen.
Erneut konnte sich Leona davon überzeugen, wie ähnlich sich die beiden Halbbrüder waren. Auch mit der Kleidung schienen sie sich abgesprochen zu haben, denn beide trugen eine legere Leinenhose und ein einfaches T-Shirt, nur dass Hassan ein schwarzes und Rafiq ein weißes gewählt hatte.
Unwillkürlich musste Leona daran denken, wie viel leichter ihr Leben wäre, wenn sie sich nicht in Hassan, sondern in Rafiq verliebt hätte. Sowenig man von ihm erwartete, ein Land zu regieren, sowenig hätte man von ihr verlangt, ihm einen Sohn zu gebären.
Doch das Schicksal hatte es anders gewollt. Rafiq war ihr wie ein Bruder, Hassan hingegen übte eine magische Anziehungskraft auf sie aus, und dabei würde es bleiben, was immer die Zukunft auch bringen mochte.
Um die trüben Gedanken zu zerstreuen, griff sie zu einer Scheibe Toast und bestrich sie mit Butter. Doch dann konnte sie sich nicht dazu überwinden, hineinzubeißen. Als der Diener schließlich den Kaffee brachte, verursachte der Geruch des Getränks ihr solche Übelkeit, dass sie ihren Teller beiseite schob und das Frühstück beendete, noch ehe sie es begonnen hatte.
“Was ist los?”, erkundigte sich Hassan besorgt, als er sah, wie blass seine Frau geworden war.
“Deine Ankündigung ist mir auf den Magen geschlagen”, erwiderte Leona, als Rafiq unvermittelt aufstand und an die Reling trat.
“Die Überraschung fährt in diesem Moment vor”, teilte er Hassan mit und machte ihn auf die schwarze Limousine aufmerksam, die sich der Yacht näherte.
“Es wurde auch Zeit”, erwiderte Hassan und reichte Leona die Hand, um mit ihr gemeinsam die Treppe zum Hauptdeck hinunterzugehen und die neuen Gäste an der Gangway zu erwarten.
Nachdem das Auto gehalten hatte, stieg der Fahrer aus und hielt einer wunderschönen jungen Frau mit langem blondem Haar die Tür auf.
“Evie!”, rief Leona überrascht, als sie sah, worin Hassans Überraschung bestand. “Ist Raschid auch …?” Die Frage hatte sich erübrigt, weil im selben Moment Scheich Raschid Al-Kadah aus dem Auto stieg.
“Begleiten sie uns auch bis Dschidda?”, erkundigte sich Leona, ehe sie das tat, was er prophezeit hatte, und ihm zum Dank dafür, dass er ihre beste Freundin eingeladen hatte, um den Hals fiel.
“Ich dachte, du könntest ein wenig moralische Unterstützung gebrauchen”, antwortete Hassan erleichtert. Sekunden später kamen ihm jedoch Zweifel, ob es wirklich klug gewesen war, den Herrscher von Behran, einem befreundeten Emirat, und dessen Frau einzuladen. Denn Raschid beugte sich erneut ins Auto und holte einen kleinen Jungen und schließlich ein Baby hervor, das bestenfalls drei Monate alt war.
Im selben Moment löste sich Leona von Hassan und lief davon. Als er schon befürchten musste, einen unverzeihlichen Fehler gemacht zu haben, sah er, dass sie Evangelina entgegenging, die ihre kleine Tochter auf den Arm genommen hatte und die Gangway heraufkam.
Doch zur Erleichterung bestand nicht der geringste Anlass, wie er spätestens dann bemerkte, als die beiden Frauen nach einer langen Umarmung gemeinsam an Deck gingen. Während Leona abwechselnd ihre Freundin und deren kleine Tochter ansah, liefen ihr deutlich sichtbar Tränen über die Wangen.
“Du verstehst es wahrlich, mich zu überraschen”, sagte sie endlich. “Als wir uns das letzte Mal gesehen haben, warst du meines Wissens noch nicht einmal schwanger.”
“Lucy ist jetzt genau drei Monate alt”, erwiderte ihre Freundin lächelnd. “Zuletzt gesehen haben
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