Ein Sommer mit Danica
der Burgruine suchten sie sich einen Tisch. »In einer Ecke –«, sagte Corell. »Ich spreche aus Erfahrung. Da kann man zwischen zwei Wänden hinunterrutschen. Ein freier Fall nach hinten ist immer problematisch. Da, dieser Tisch ist vorzüglich. Danica, hier werde ich beginnen, ein Meer auszutrinken …«
Der Wirt, ein dicker Mensch mit Hängebacken und einer fleckigen Bauchschürze, kam heran, musterte den Fremden, wies mit dem Kopf auf Corell und fragte slowenisch: »Macht er auch keinen Ärger, Danica?«
»Nein«, antwortete sie.
»Ich habe Streit mit der Miliz, seit Duschan, dieser Hund, heimlich in eine Flasche pinkelte und dann aus ihr der Milizstreife einen Slibowitz anbot. Woher kennst du ihn?«
»Fangen wir an und gehen wir gleich in die vollen!« rief Corell. »Eine Flasche Maraschino-Brandy!«
»Und zwei Gläser …«, sagte Danica ebenso laut.
»Ein Glas!«
»Zwei!« Sie funkelte den Wirt an, der unschlüssig herumstand. »Du bringst zwei Gläser, Bojan, oder es gibt Ärger mit der Miliz.«
»Kein Glas!« schrie Corell. »Ich saufe aus der Flasche!«
Der Wirt lief davon. Er kam schnell zurück, stellte eine Literflasche Brandy auf den Tisch und vier Gläser. Man sah, daß er stolz auf diesen Einfall war.
»Zur Auswahl –«, sagte er und lächelte sauer. »Man kann auch trinken zweihändig …«
Corell zog die Flasche zu sich hinüber und umfaßte sie mit beiden Händen. »Du rührst sie nicht an. Danica –«, sagte er dumpf. »Nicht einen Tropfen!«
»Bojan, eine zweite Flasche!« rief sie. »Drei, vier Flaschen … er will neben Tartini ein Denkmal haben als der größte Säufer von Piran!«
Corell starrte sie an. Er erkannte Danica nicht wieder, sie glühte von innen heraus. Ich bin ein Schwein, dachte er. Ich bin ein elendes Schwein. Ich zerstöre einen Engel. Warum bin ich nicht zwischen den Bäumen am Berghang verreckt?
Bojan zögerte, aber als Danica mit dem Fuß aufstampfte, rannte er weg und brachte eine zweite Literflasche. Danica umfaßte sie wie Corell und setzte sich zurecht. Ihre Blicke trafen sich, und das war ein Zusammenprall, der tief in ihnen nachzitterte. Still, die Hände unter der Schürze, setzte sich der dicke Bojan an einen Nebentisch. Das Lokal war leer, es war zu heiß, hier oben hinauf kamen sie erst, wenn der Abend Kühle vom Meer in die Stadt trieb.
»Trink!« sagte Danica.
»Stell die Flasche weg«, keuchte Corell.
»Nein. Ich liebe dich … und was du tust, will ich auch tun …«
Er roch den scharfen Maraschino-Brandy, einen herrlichen, einen köstlichen, einen für einen Säufer geradezu paradiesischen Duft, aber er sah auch Danicas Bereitschaft, wie er die Flasche an den Mund zu setzen.
So saßen sie sich gegenüber, minutenlang, ein stummer, verbissener Kampf.
»Was ist mit Pula?« fragte Danica plötzlich. »Sascha … was war mit Hilde …«
Corell ließ die Flasche los, seine Hände klatschten auf den Tisch. Danicas Sieg war wie eine Erlösung – er hätte weinen können. Und er begann, von Hilde zu erzählen.
3
Wie eine goldene Haut überdeckte der Sonnenglanz die Gipfelgrate des Piz Malu in den Dolomiten. Der Schnee glitzerte bläulich, im Tal lagen noch die Schatten und der Atem fror vor den Lippen, aber dort oben unter dem weiten, klaren Himmel konnte man sich ausziehen, in einen Liegestuhl legen und spüren, wie die Kraft der Sonne in den Körper drang. An der Talstation der Seilbahn zum Piz Malu drängten sich die Sonnenhungrigen. Auch Hilde Corell war unter ihnen, die Ski geschultert, in einem roten Nylon-Anorak, in hellblauen Hosen, um das blonde Haar ein rotes Band gebunden. Sie stand an neunter Stelle, als die Gondel Nr. 4 knirschend vor dem Einsteigpodest hielt und sich die Schiebetür öffnete.
Hilde war allein. Ihr Mann war nicht bereit gewesen, so früh auf die Berge zu fahren, und die Kinder schliefen sowieso bis zum späten Vormittag. Einmal ausschlafen, hieß es bei allen, die Ferien genießen, nichts tun, ganz faul sein, die Uhr vergessen, lang liegen und sich in dem herrlichen Gefühl aalen: Keiner treibt dich an. Die Welt steht still, wenn ich es will. Der Zwang zur Pünktlichkeit ist eingemottet. »Geh allein –«, hatte Alexander Corell zu Hilde gesagt. »Ich komme in zwei Stunden nach. Reservier mir einen Liegestuhl und einen steifen Grog. Viel Spaß …« Er hatte sich auf die andere Seite gedreht und war wieder eingeschlafen.
»Faulpelz!«
Das war der Abschied gewesen. Ein zärtliches Wort in dieser Situation.
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