Ein Sommer mit Danica
du Miststück von Corell. Dieses Mädchen ist zu schade für dich. Es ist zu jung, zu rein, zu wertvoll. Du hast in den letzten vier Jahren nur mit verkommenen Weibern gelebt, und wenn sie ihre Pflicht getan hatten, konntest du sie rauswerfen. Corell, du mußt weg von hier. Es gibt für dich kein neues Leben, das Piran und Danica heißt … Er griff in die Tasche, holte ein Bündel Geldscheine hervor … sie waren naß gewesen, Danica hatte sie getrocknet und wieder in die Tasche gesteckt – legte ein paar Scheine auf den Tisch und stand auf. Die Flasche rührte er nicht an. Als er jetzt den Duft des Brandys durch die Nase sog, wurde ihm schlecht vor Ekel.
»Komm, Engelchen«, sagte er und stützte sich auf Danicas Schulter.
»Wohin?« fragte sie.
»Mach einen Vorschlag.«
»Zu dir …«
»Das heißt: In die Hölle!«
»Von mir aus auch in die Hölle. Du bist da … das genügt.«
Sie verließen die Wirtschaft, stiegen die engen Gassen hinunter, kamen an Kindern vorbei, die mit verbeulten Kronenkorken von Mineralwasserflaschen Murmeln spielten, völlig versunken in der Geschicklichkeit, von den anderen einen Korken zu gewinnen. Corell blieb stehen und sah ihnen zu.
»Das fehlt uns, Danica«, sagte er und legte einen Fünfzig-Dinar-Schein zwischen die Kinder auf das Kieselsteinpflaster. Die Kinder starrten zu ihm hinauf, ungläubig, kritisch, wie man einen Irren mustert. »Die kindliche Zufriedenheit mit dem Einfachen. Wir sind alle zu kompliziert.«
»Komm –«, sagte sie und zog ihn weiter. »In zwei Stunden kommt mein Vater zurück.«
»Ich werde mich von ihm erschlagen lassen!« Corell tappte weiter. Danica führte ihn an der Hand wie ein blindes Kind. »Ich werde zu ihm sagen: Petar Robic, ich habe deine Tochter im Bett gehabt. Ich wette, daß er mich erschlägt! Ich würde es an seiner Stelle sofort tun.«
Sie kamen aus dem Schatten der engen Gasse hinaus auf den Tartiniplatz. Das ›Venezianische Palais‹ ihnen gegenüberlag im vollen Sonnenlicht. Das Geschenk eines reichen Kaufmanns an seine Geliebte, der er mit giftigem Spott gegen alle Prüderie über die Haustür meißeln ließ: ›Lasa pur dir.‹ Laß sie reden …
1450.
»Er hatte recht«, sagte Danica, als sie sah, wie Corell die Inschrift las. »Laß sie reden … Ich liebe dich, Sascha …« Sie hielt ihn fest, als er weitergehen wollte. Ein paar Touristen, – Deutsche, stellte Corell fest, mit so wenig Charme können nur Deutsche ihre Shorts tragen, – drehten sich um, blieben stehen und grinsten. Er grinste zurück, schnitt eine Grimasse, und die Landsleute drehten sich beleidigt weg. Flegel! Am hellen Tag schon besoffen! Bestimmt ein Deutscher …
»Warum sagst du mir nicht, daß du mich liebst, Sascha?« fragte sie.
»Das wäre eine Katastrophe.«
»Du hast mich geküßt.«
»Vielleicht war das ein Irrtum.«
»Es war kein Irrtum. Ich sah deine Augen.«
Er wußte darauf keine Antwort mehr, ging weiter und wehrte sich gegen den Drang, sie wieder, jetzt auf dem Tartiniplatz, vor der Gruppe Touristen, genau unter dem Steinschild ›Lasa pur dir‹, zu küssen. Er nahm sich vor, noch in dieser Nacht zu verschwinden.
Man hatte das Sterben so präzise vorbereitet, da war kein Platz mehr für ein Weiterleben.
*
Die Flucht gelang ihm nicht.
Zunächst dachte er, daß er es besonders klug anstellte, indem er aus dem Fenster kletterte, sich an die steinerne Fensterbank klammerte und sich dann die knapp drei Meter herunterfallen ließ. Das Geräusch war kaum zu hören, er sprang in Strümpfen, hatte die Schuhe an den zusammengebundenen Schuhbändern um den Hals gehängt, aber man soll nicht glauben, drei Meter seien eine lächerliche Höhe. Corell kam unten an und spürte den Aufprall bis zu den Haarspitzen. Er setzte sich auf eine der Kisten am römischen Brunnen, zog seine Schuhe an, wartete, bis der Schmerz in seiner Hüfte etwas verebbte und hoffte, daß die Wunde nicht wieder aufgerissen war. Er hatte keine Zeit, sich davon zu überzeugen. Die Nacht war lau und hell, eine jener friedlichen Nächte, in denen Romantiker dem Himmel nahe sind. Bis hier in den Hof hörte er das Meer an die dicken Steinquader klatschen, mit denen man das Ufer von Piran befestigt hatte. Flut, dachte er. Das Meer ist mein Freund. Es verschluckt für mich alle Geräusche.
Er band die Schnürsenkel zu, klemmte die Jacke unter den Arm und verließ durch die Toreinfahrt des Nachbarhauses, die immer offen stand, ruhig und gelassen den Hof. Auf der Straße
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