Ein Sommer mit Danica
wollte. »Du mußt aus dem Einfluß von Corell heraus. Mein Gott, du weißt anscheinend gar nicht, wo du bist. Corell ist …«
»Ein Wort gegen Sascha und ich schlage Ihnen ins Gesicht!« sagte Danica. Ihre Stimme war gefährlich ruhig. »Reden Sie nicht weiter –«
»Du bist jung, hübsch, klug, du bist einfach alles, was ein Mensch sein kann … und was ist er? Ein Mann über fünfzig, der physisch und moralisch am Ende ist, der sich nur an dich klammert, weil er glaubt, mit deiner Jugend noch einmal ein paar aufrechte Meter gehen zu können. Mehr bist du nicht … siehst du das denn nicht ein? Er nutzt dich aus. Du bist für ihn eine Krücke, auf die er sich stützt, und wenn er wieder laufen gelernt hat, ist wieder so eine reiche Witwe da, die ihn aufnimmt, weil sie Frau Doktor werden kann. Und du? Dich setzen sie auf die Straße.«
»Sie sind das gemeinste Scheusal, das ich kenne«, sagte Danica leise. »Lassen Sie meine Hand los oder ich trete um mich und rufe Sascha um Hilfe.«
»Ihn?« Dr. Willbourg lachte. Er war jung, groß, kräftig und von jener Sorglosigkeit, mit der man singend durch die Hölle marschiert. »Danica, ich weiß, es ist falsch, was ich jetzt getan habe, aber es ist aus mir herausgebrochen, und nun ist es passiert. Ich liebe dich. Das klingt fürchterlich altmodisch, aber noch gibt es keinen Ersatz dafür. Ja, ich liebe dich!«
»Lassen Sie mich los!« Danica entriß ihm ihre Hand und raffte den offenstehenden Mantel über ihrer Brust zusammen. »Wenn ich wüßte, wie ich es Sascha erklären könnte, würde ich den Kursus abbrechen.«
»Sag ihm die Wahrheit.« Dr. Willbourg wurde sehr ernst. »Das ist kein Abenteuer, Danica, kein Flirt. Ich meine es wirklich so. Es ist ernst. Ich liebe dich. Du gehörst nicht zu einem alternden Mann. In zehn Jahren ist er sechzig, ein Opa … und du bist gerade dreiunddreißig. Du beginnst zu leben, wenn er verwelkt, Danica … sieh doch diesen Wahnsinn ein! Und willst du so leben wie er? Weißt du, was man über ihn alles erzählt? Er kann machen, was er will … er wird ein Arzt aus der Gosse sein! Danica –«
Sie ließ Dr. Willbourg stehen, ging zur Tür und betrat das Haus, ohne sich umzudrehen. Willbourg lehnte an seinem kleinen roten Sportwagen und hob dann, einer Eingebung folgend, den Kopf.
Oben, am Fenster, ein Schatten nur, stand Dr. Corell und hatte die Szene auf der Straße beobachtet. Aber er mußte sie anders sehen, als sie wirklich war.
Danica in den Armen Dr. Willbourgs. Sie küßten sich, sie hielten sich an der Hand fest, sie sprachen lange miteinander, sie konnten sich nur mit Mühe voneinander losreißen … ein Berg von Irrtümern, aber sie brachen über Corell nieder wie eine Lawine und verschütteten ihn.
Willbourg handelte schnell. Er winkte zur Haustür hin, wo Danica gerade verschwunden war und warf ihr einen Handkuß zu. Corell oben am Fenster, der die Tür nicht sehen konnte, mußte annehmen, daß Danica mit einer zärtlichen Geste Dr. Willbourg antwortete.
Die Gardine fiel zurück, der Schatten am Fenster verschwand. Zufrieden stieg Dr. Willbourg in seinen Wagen und startete mit heulendem Motor. Das Triumphgeschrei des Siegers.
Corell saß im Sessel und las in einer medizinischen Fachzeitschrift, als Danica ins Zimmer trat. Sie beugte sich über ihn, küßte ihn auf die Stirn und brachte dann ihren Mantel zur Garderobe. Corell wartete, aber Danica sagte nichts. Das tat weh – er zerknüllte die Ränder der Zeitschrift zwischen den Fingern und holte tief Atem. »Wie war's«, fragte er. Seine Stimme klang fremd.
»Wie immer, Sascha. Ich muß viel lernen, ich habe viel verpaßt …«
»Das glaube ich auch«, sagte er doppelsinnig. »Ich habe einen schönen Rinderbraten gemacht. Er steht im Backofen.«
»Du bist der beste Mann der Welt, Sascha.«
Er hörte, wie sie den Tisch deckte, Teller und Bestecke klapperten … und er wartete noch immer auf einen Satz über Dr. Willbourg. Aber Danica schwieg. Sie schwieg aus Angst vor seiner grundlosen Eifersucht. Corell dagegen dachte: Es ist also doch etwas an der Sache. Wäre sie harmlos, würde sie mir alles erzählen. Aber natürlich, wie kann es harmlos sein, wenn man sich mit einem anderen Mann küßt? Mit einem jungen, starken Mann, gegen den ich keine Chance habe. Er aß nur ein paar Bissen, sagte, er habe Kopfschmerzen und zog sich hinter seiner Zeitschrift zurück. Den Artikel ›Chloramin im Leitungswasser bewirkt bei Dialysepatienten hämolytische Anämien‹
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