Ein Sommer mit Danica
immer neue, blieben kurze Zeit, verschwanden wieder.«
»Der ›harte Kern‹? Wissen Sie darüber etwas?«
»Vielleicht sechs oder acht junge Männer.«
»Namen?«
»Einer hieß Harry. Der Verwundete. Aber ob das sein richtiger Name ist?«
»Bestimmt nicht. Ungefähres Alter?«
»So Ende Zwanzig.«
»Die anderen?«
»Im gleichen Alter. Einige jünger. Darunter ein Medizinstudent. Es waren alles Studenten. Intelligente Burschen. Vor allem das Mädchen.« Das war eine wichtige Aussage. Kommissar Huncke bot Corell eine Zigarette an, er schüttelte den Kopf. »Wenn ich an rauchen denke, muß ich kotzen«, sagte er.
»Einen Kognak?«
»Um Himmels willen, nein! Noch schlimmer. Ich bin wie ausgeblasen.« Corell saß in einem Krankenhausbett und hatte das Kopfkissen hinter seinen Rücken geknüllt. »Es war mein erster LSD-Rausch. Ich sage Ihnen, Huncke … wenn man drin ist, ein wundervolles Gefühl. Eine Welt der rauschenden Farben, eine Sinfonie an Tönen. Ein Märchen! Aber hinterher … nie wieder! Lange kann ein Gehirn so etwas nicht aushalten. Die machen sich alle systematisch kaputt. Für ein paar Stunden Paradies immer einen Schritt näher zur Hölle. Unentrinnbar. Idiotisch so etwas.«
»Wer hat Ihnen das LSD gegeben?«
»Ich weiß es nicht. Ich habe es nicht gemerkt. Sie müssen es in den Kaffee getan haben, auf ein Zuckerstückchen geträufelt … man schmeckt das Teufelszeug ja nicht. Vielleicht war es Dorothea …«
»Das Mädchen hieß also Dorothea?« stieß Kommissar Huncke nach. »Wie sah es aus?«
»Es wollte partout mit mir schlafen. Zehn Tage hat es darum gekämpft.« Corell lächelte verzerrt, sein Kopf war ein riesiger Saal, in dem seine Stimme widerdröhnte. »Sie sah so aus, daß man jederzeit mit ihr hätte schlafen können.«
»Einzelheiten, Dr. Corell.«
»Soll ich ihre Brüste beschreiben?«
»Gesicht, Haarfarbe, Haarschnitt, Auffälligkeiten –«
»Ihr Schamhaar war heller als ihr Kopfhaar. Das ist selten, was? Meist ist es umgekehrt …«
Hier brach Huncke zunächst die Vernehmung ab. Man hatte Corells Aussage sowohl mitstenografiert wie auch aufs Tonband genommen. Es ließ sich wenig damit anfangen. Die leerstehenden Häuser in Frankfurt waren bekannt, man konnte sie schnell absuchen und das verlassene Quartier finden … es war anzunehmen, daß die Gruppe längst auseinandergegangen war und sich woanders wieder traf. In München, in Hamburg, in Berlin, in Stuttgart … oder sie tauchte für eine ganze Zeit unter, um dann plötzlich dort loszuschlagen, wo sie keiner vermutete.
Die Jagd nach einem sehr realen Phantom. Das ständige Gebet nach dem Zufall.
Der Kommissar drehte sich an der Tür des Krankenzimmers noch einmal um und kam zum Bett zurück. »Dr. Corell –«, sagte er sehr ernst, »ich weiß nicht, was Sie mir verschweigen. Ich weiß auch nicht, ob dieses Mädchen Dorothea nicht doch auf Sie einen solchen Eindruck gemacht hat, daß Sie vieles vergessen wollen. Vielleicht haben Sie doch mit ihr geschlafen – das müssen Sie mit sich allein ausmachen. Aber vergessen Sie eins nicht: Diese Gruppe hat einen Polizeibeamten erschossen, 175.000 Mark geraubt und mit drei Bomben einen Sachschaden von über 500.000 Mark verursacht. Ihnen ist ein Menschenleben nichts wert, sie vernichten um der Vernichtung willen. Und sie werden auch weiterhin Bomben legen und unschuldige Menschen töten!«
»Sie müssen ja eine tolle Meinung von mir haben, Huncke –«, sagte Corell müde. »Was denken Sie eigentlich?«
Kommissar Huncke sah Corell lange an, dann sagte er leise: »Wie ist es möglich, daß Sie noch leben …?« Es war eine Frage, über die Corell selbst sehr angestrengt nachgedacht hatte, ohne eine Antwort zu finden.
*
Wieder, für zwei Tage, wurde Dr. Corell die Sensation in Presse und Fernsehen. Aber er blieb in einem üblen Zwielicht zurück.
Daran änderte auch nichts, daß er in vielen Interviews versicherte, ja beteuerte, nicht mehr sagen zu können, als er schon so oft gesagt hatte … überall ließ man durchklingen, daß Dr. Corell seine ärztliche Schweigepflicht zu genau nähme. Ein juristischer Experte veröffentlichte einen Artikel über die Grenzen der Schweigepflicht, die dort läge, wo Terror und politischer Mord gedeckt würden. Politiker gaben Kommentare und forderten unverhohlen eine Modifizierung dieser in einem solchen politischen Klima altmodischen und überholten Standesethik.
Am Ärztestammtisch führte der Gynäkologe Dr. Banderei wieder das
Weitere Kostenlose Bücher