Ein Stern fliegt vorbei
auf gesellschaftlichem Gebiet. Es muß da einen gemeinsamen Punkt geben!“
Lutz nickte. „Es wäre dann ein Erfolg der Zusammenlegung, daß sich die Krankheit nicht weiter ausbreitet.“
„Das ist nicht gesagt“, warf Kapitän Schtscherbin ein. „Keine voreiligen Schlußfolgerungen!“
„Gut“, sagte Lutz, „ich füge meinen Ausführungen das Wort vielleicht an. Aber Tatsache, ich habe mir auch schon den Kopf in dieser Richtung zerbrochen. Ich dachte an so etwas wie Einsamkeit, Leben ohne positive Gefühle wie Liebe, Freundschaft – aber das will alles nicht passen, schließlich“ – er warf einen Blick auf Schtscherbin –, „schließlich ist Kat doch auch verliebt, das ist ja wohl kein Geheimnis. Und einsam? Wer war denn schon einsam? Ich weiß nicht.“
Wladimir Schtscherbin räusperte sich. „Wenn wir alle reden und am Schluß ratlos die Schultern zucken, werden wir nicht weiterkommen. Außer Frau Hellrath sind wir alle unvorbereitet. Wenn Sie meine Meinung wissen wollen: Die Ursachen liegen im gesellschaftlichen Bereich. Aber es sind nur Überlegungen, keine Tatsachen, die mich darauf bringen, deshalb möchte ich sie für mich behalten, vorläufig wenigstens. Wir sollten uns jetzt trennen und in zwei, drei oder vier Tagen wieder zusammenkommen, aber vorbereitet.“
„Und wie?“ fragte Sabine.
„Wir sollten den gemeinsamen Punkt suchen, die Besonderheit, die auf alle Kranken zutrifft – und vielleicht auch noch auf ein paar mehr, das würde nichts machen, aber es muß auf jeden Fall die Kranken von der Mehrzahl der Gesunden unterscheiden. Und ich meine auch, wir sollten uns die Arbeit teilen. Doktor Hellrath sollte sich noch einmal die medizinische Seite der Sache vornehmen, ich würde die Arbeits- und Lebensbedingungen daraufhin untersuchen und Lutz Gemba vielleicht die gesellschaftlichen Beziehungen.“ Er wandte sich an Lutz direkt. „Ich weiß, daß ich Ihnen damit die Hauptarbeit zuschanze, aber Sie haben wohl noch am ehesten freie Hand, und dann, ich habe seinerzeit mit Interesse Ihre Diplomarbeit über soziologische Probleme des Raumflugs gelesen; das ist doch Ihr Gebiet. Stellen Sie doch mal eine Soziomatrix zusammen! Und wenn sie auch lückenhaft ist, wegen der Kranken, vielleicht gibt sie doch etwas her. Einverstanden?“
Es war für Sabine eine große Entlastung, daß sie ihre Sorgen nicht mehr mit sich allein oder nur mit ihren Kollegen auf den anderen Raumschiffen beraten mußte. Aber dadurch empfand sie eine andere Sorge nur noch drückender: die Sorge um ihren Mann. Seine Nervosität, seine Reizbarkeit, wenn er mit ihr allein war und glaubte sich nicht mehr beherrschen zu müssen, wurden immer heftiger. Sie hatte gedacht, das Nachlassen der Krankheit würde ihn beruhigen, aber das Gegenteil war der Fall. Ohne das so klar auszudrücken – und sei es auch nur vor sich selbst –, befürchtete er, daß die Krankheit nun aus dem Hinterhalt angreifen würde wie ein tückisches Tier, und er steigerte seine fieberhafte Aktivität noch. Sabine sah an mehreren Anzeichen, daß er bald am Ende sein würde mit seiner Kraft, und sie entschloß sich einzugreifen, als Frau – und als Ärztin.
Abends, als sie allein war im Behandlungsraum, rief sie ihn an – sie mußte eine ganze Weile suchen – und bat ihn, auf einen Sprung bei ihr vorbeizukommen. Er sagte „Gleich!“ – aber dann dauerte es doch noch eine halbe Stunde, bis er mit einem „So – was ist denn?“ zur Tür hereintrat.
„Setz dich mal hin“, sagte Sabine.
„Was ist denn, ich muß noch…“
„Ich will dich untersuchen.“
Er sprang auf. „Aber doch nicht jetzt! Ich hab wohl nichts Wichtigeres zu tun als…“ Er murmelte den Rest des Satzes und wandte sich zur Tür.
„Jetzt“, sagte Sabine entschlossen, lief an ihm vorbei und versperrte den Ausgang des Zimmers.
„Heile lieber die Kranken“, sagte er aufgebracht. „Ich bin gesund. Vielleicht der einzige Gesunde in dieser verrückten Expedition.“
Sabine sah ihm fest in die Augen.
„Jeder Besatzungsangehörige muß sich wöchentlich einmal zur Untersuchung stellen. Du warst vor sieben Wochen zum letztenmal hier. Also?“
Sie kannte ihn. An sein Gefühl für Disziplin zu appellieren war selbst unter schwierigsten Umständen erfolgreich. Er setzte sich, murrend noch, aber sich in das Unvermeidliche schickend.
„Tu, was du nicht lassen kannst“, sagte er. „Aber mach es gnädig.“
Sie klopfte und horchte, maß und beobachtete, nahm EKG und
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