Ein Stern fliegt vorbei
nötigen Anweisungen traf, was Henner widerspruchslos geschehen ließ. Eine Viertelstunde später starteten von SIRIUS und WEGA je eine Operativrakete, die eine Hilfsmannschaft zur ATAIR brachten.
Lutz nahm sich vor, noch am gleichen Tag nun ganz bestimmt mit Henner zu sprechen. Aber wieder kam etwas dazwischen, eine Entdeckung, die alle gesunden Expeditionsmitglieder in Aufregung versetzte.
Ungeachtet der Einschränkungen und Belastungen, die die Krankheit mit sich gebracht hatte, war doch die Arbeit planmäßig fortgesetzt worden, und ein großer Teil dieser Arbeit bestand in der Auswertung des am Feld gesammelten Materials. Längst nicht alle Angaben, Meßwerte, Aufnahmen der automatischen Stationen waren schon gründlich analysiert. Die meisten waren seinerzeit so gespeichert worden, wie die Stationen sie übermittelt hatten. Die Auswertung des gesamten Materials konnte erst auf dem Rückflug geschehen.
Mittags rief einer der mit der Auswertung beschäftigten Mitarbeiter Yvonne an und bat sie, sich etwas anzusehen. Yvonne nahm Lutz mit, und dann saßen sie zu dritt vor dem Abzug eines Funkbildes, das der automatische Satellit des Planetoiden V, des kleinsten Planetoiden mit der extremsten Bahn, übermittelt hatte, als die Expedition noch beim Feld gewesen war.
Und die Aufnahme zeigte etwas sehr Sonderbares: Auf dunklem Hintergrund war – zwar stellenweise unterbrochen, aber doch deutlich sichtbar – ein regelmäßiges Sechseck zu erkennen.
Ein Zufall? Ein Aufnahmefehler? Oder? Stumm vor Erregung starrten die drei auf die Aufnahme. Ein so ausgeprägt regelmäßiges Sechseck war kaum auf das Wirken natürlicher Kräfte zurückzuführen. Aber dann…
Noch scheuten sich alle davor, diesen verführerischen Gedanken zu Ende zu denken. „Wir sollten am besten“, meinte Yvonne leise, „alle Aufnahmen von diesem Planetoiden prüfen, ob sich etwas Ähnliches wiederholt.“
„Das sind mehr als zehntausend“, wandte der Auswerter ein.
Yvonne überlegte. „Die Bilder sind doch zeilenweise aufgebaut. Gespeichert sind nur die Impulse, schwächere und stärkere. Wenn wir nun mal gar nicht vom Sechseck ausgehen… Jede gerade Linie, wenn sie nicht direkt parallel zur Zeile läuft, müßte sich in gleichbleibenden Intervallen ausdrücken, wenn man die Zeilen hintereinanderreiht, und zwar in Intervallen, die etwa, aber nicht genauso lang sind wie die Zeile – versteht ihr, wenn man einfach alle aufgezeichneten Impulse durch eine entsprechend geschaltete Anlage laufen läßt, könnte man auf diese Weise alle Bilder aussortieren, auf denen gerade Linien auftreten, das werden nicht allzu viele sein, und die können wir uns dann angucken, ob ein Sechseck darauf ist.“
Das Schaltschema zu erarbeiten und einzurichten dauerte zwei Stunden. Nach weiteren dreißig Minuten hatte die Anlage etwa 25 Aufnahmen oder vielmehr die Speicher dieser Aufnahmen aussortiert, und unter diesen Aufnahmen entdeckten sie noch zwei mit dem gleichen Sechseck.
„Wir müssen sofort eine Ratssitzung einberufen“, sagte Yvonne und erhob sich.
Lutz stimmte zu, und sie gingen zur Zentrale. Auf dem Gang blieb Lutz plötzlich stehen.
„Was ist?“ fragte Yvonne.
„Du glaubst doch auch wie ich, daß das Spuren einer Zivilisation sind, ganz gleich, wo sie herstammen mögen?“
„Ja, das ist wohl kaum zu bestreiten.“
„Aber dann ist unser Plan hinfällig, ist dir das klar? Wir können doch diese Zivilisation oder auch nur ihre Spuren nicht einfach zerstören!“
„Daran habe ich noch gar nicht gedacht“, bekannte Yvonne. Sie war einen Augenblick lang betroffen, dann sagte sie: „Du hast recht. Die fremde Zivilisation ist wichtiger. Wir müssen eben unsere Pläne ändern!“
Die Ratssitzung kam auch zu keinem anderen Schluß. Aber anscheinend nahmen nicht alle die Sache so auf wie Yvonne. Henner klagte plötzlich über starke Kopfschmerzen, abends bekam er Schüttelfrost und Fieber und wurde in die Krankenstation überführt: Gehirnhautentzündung.
Lutz, als er die Diagnose erfuhr, erinnerte sich schmerzlich seines Vorsatzes, mit Henner ein kritisches Wort zu sprechen, und er machte sich Vorwürfe, daß er das nicht rechtzeitig getan hatte. Mußte es denn wirklich so sein, daß die Menschen bei großen Belastungen die Aufmerksamkeit gegeneinander verloren? Und er begriff etwas, was er längst wußte: daß nämlich Kollektivität, auch wenn ihre gesellschaftlichen Voraussetzungen seit Jahrhunderten bestanden, doch jeden Tag neu
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