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Ein Stern fliegt vorbei

Ein Stern fliegt vorbei

Titel: Ein Stern fliegt vorbei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl-Heinz Tuschel
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errungen, bewußt geschaffen werden muß.
    Er gehörte zu den Menschen, die das Denken beschwingt und die sich wohlfühlen, wenn sie einen Sachverhalt durchdacht und Schlußfolgerungen gezogen haben. Es stimmte ihn heiter, als er plötzlich merkte, daß er den Mittelgang schon mehrere Male durchmessen hatte und eben im Begriff war, zum wiederholten Mal an seiner Kabinentür vorbeizugehen. Erst Ende Zwanzig – und schon zerstreut, dachte er vergnügt, und vergnügt trat er ein. Er fand Yvonne und Kat bei eifriger Beschäftigung: Sie bemühten sich, die Babyausstattung fertig zu bekommen, was gar keine einfache Aufgabe war, denn natürlich waren die Vorratslager des Raumschiffes auf alles mögliche eingerichtet, nur nicht auf die Geburt eines Kindes.
    „Marsch in deine Ecke und stör uns nicht!“ kommandierte Yvonne scherzhaft; und ihm war diese Atmosphäre, dieser Krimskrams, diese auf allen ebenen Flächen herumliegenden Textilien viel zu angenehm, als daß er nicht widerspruchslos gehorcht hätte. Er freute sich auf das kommende Ereignis und sah seiner Frau zu, deren Hände offensichtlich nicht nur Lochstreifen stanzen konnten, das Futter für die Rechengeräte, sondern auch mit den uralten Hilfsmitteln der Menschheit, mit Nadeln und Fäden der verschiedensten Arten und Größe, geschickt umzugehen wußten – und er hatte keine Ahnung, wo sie das gelernt hatte, ob sie als Kind von jemand darin unterrichtet worden war oder ob sie sich dieses fast ausgestorbene Handwerk erst hier, in Erwartung des Kommenden, angeeignet hatte. Er freute sich auch über Kat, die auf Anraten Sabines hier ihre meiste Zeit verbrachte und die ganz bei der Sache zu sein schien. Er wußte freilich, daß diese Intensität noch nicht länger als eine bis anderthalb Stunden anhielt und daß die blonde Engländerin noch dreimal am Tage behandelt werden und unter Aufsicht schlafen mußte – aber der Fortschritt war unverkennbar.
    Lutz kam die Laune an, ihren täglichen lustigen Streit vom Zaune zu brechen. „Übrigens habe ich mir überlegt“, sagte er, „daß unser Junge so heißen soll wie das Raumschiff, auf dem er geboren wird. Sirius Gemba – wie findest du das?“
    „Und wenn es ein Mädchen wird?“ fragte Yvonne.
    „Es wird kein Mädchen“, sagte Lutz im nachsichtigen Tone eines, der es wissen muß. „Und selbst wenn – dann eben Wega, ist doch auch hübsch.“
    „Nein“, widersprach Yvonne, „Wega Gemba – das ist ja ein Zungenbrecher.“
    „Na“, entgegnete Lutz gönnerhaft und rekelte sich, „vielleicht hat jemand bessere Vorschläge?“
    Yvonne dachte nach und wurde unversehens ernst. „Weißt du“, sagte sie, „wenn ich Kat nicht hätte, würde ich gar nicht fertig mit dem ganzen Krempel.“
    Er wußte, daß das eine fromme Lüge war, aber er billigte sie und nahm sich damit die Möglichkeit, dem Vorschlag zu widersprechen, den Yvonne folgen ließ: „Und darum möchte ich“, sagte sie ein bißchen feierlich, „daß unser Mädchen Kathleen heißt.“ Sie wandte sich an Kat. „Bist du einverstanden?“
    „Das ist doch eure Sache, frag doch erst mal Lutz“, erwiderte Kat, aber es war zu sehen, daß sie gerührt war.
    „Lutz ist selbstverständlich einverstanden“, erklärte Yvonne entschieden, allerdings nicht, ohne daß sie sich vorher durch einen Seitenblick davon überzeugt hatte.
    Lutz aber freute sich über den Eindruck, den dieser Vorschlag auf Kat machte, und pries im stillen die Klugheit seiner Frau, die mit dem Gefühl etwas erkannt hatte, wozu er selbst erst seine soziologischen Kenntnisse und umfängliche Befragungen hatte bemühen müssen. Denn er konnte auf der Ratssitzung am nächsten Tag mit Ergebnissen aufwarten, was die soziologische Seite der Krankheit betraf. Zunächst wurde allerdings auf seinen Antrag hin. Wladimir Schtscherbin als Kommandant der Expedition eingesetzt und seine Übersiedlung auf die SIRIUS, das Leitschiff der Expedition, beschlossen. Ganz am Rande kam ihm dabei der Gedanke, daß die Auswirkung dieser Maßnahme aufs Kats Gesundheitszustand seine Schlußfolgerungen bestätigen oder widerlegen würde. Er hatte nämlich durch Umfragen herausgefunden – und belegte es mit einem einleuchtenden soziomathematischen Formelapparat –, wo im gesellschaftlichen Bereich der gemeinsame Punkt aller Kranken lag: Sie waren alle ohne intensive Kontakte in der Intimsphäre, oder, einfacher gesprochen, sie hatten alle keinen alltäglichen, intensiven Umgang mit anderen Menschen.
    Lutz

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