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Ein Stern fliegt vorbei

Ein Stern fliegt vorbei

Titel: Ein Stern fliegt vorbei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl-Heinz Tuschel
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EEG auf. Das Ergebnis war niederschmetternd.
    „Fertig“, sagte sie endlich.
    „Na also“, sagte er und stand auf.
    „Bleib sitzen!“
    „Was denn noch?“
    „Du bist arbeitsunfähig.“
    „Quatsch“, sagte er grob, blieb aber sitzen.
    „Du bist völlig erschöpft. Nichts stimmt mehr bei dir. Kreislauf, Reflexe, Nerven. Wenn du noch eine Woche so weiter machst, erlebst du das Ende der Expedition im Krankenzimmer.“
    „Ja, ich weiß, das sagen alle Ärzte. Gib mir irgendwas zur Stärkung, und dann hat sich’s.“
    Statt einer Antwort stand sie auf und übersetzte ihm vom Lochstreifen die Auskunft des Diagnose-Automaten.
    Sie sah, wie er im Sessel zusammenrutschte, wie seine Schultern herunterfielen und der Kopf sich senkte. Sie hätte laut schreien oder ihn wie ein Kind in die Arme nehmen mögen – aber sie wußte, daß sie hart bleiben mußte, wenn sie ihm helfen wollte.
    Er sah auf. „Ich werde meinen Arbeitsstil ändern. Ich werde mich allen ärztlichen Maßnahmen unterwerfen, ohne ein Wort der Widerrede. Unter einer Bedingung: Ich muß arbeitsfähig bleiben. Muß.“
    Sie wußte nach dieser Untersuchung, daß es dazu zu spät war. Aber sie schwieg. Das nur zu sagen hatte keinen Sinn. Sie mußte seinen Widerstand brechen, um jeden Preis, selbst um den Preis, daß dabei vielleicht noch mehr zerbrach. Sie wartete, was er sagen würde, und hoffte im stillen, er würde einsichtig sein, und sie wußte doch, daß sie vergeblich hoffte.
    „Ich muß arbeitsfähig bleiben“, wiederholte er. „Was soll denn aus der Expedition werden?“ schrie er sie an.
    Ihr ganzes bisheriges Leben, ihre gemeinsamen Sorgen und Erfolge, der lange Weg, den sie miteinander gegangen waren, zog in Sekundenschnelle an ihr vorüber, und sie meinte, ihre Zähne müßten beim Sprechen aufeinanderklappern vor Qual, daß sie ihm, ihrem Mann, das sagen mußte, aber mit übergroßer Anstrengung beherrschte sie sich, und ihre Stimme war von unnatürlicher Kälte, als sie sprach: „Es gibt genügend gute, gesunde Leute, die das Kommando übernehmen können.“
    Henner gab einen unartikulierten Laut von sich. Unter normalen Bedingungen wäre er sicherlich der erste gewesen, diesen Gedanken auszusprechen, aber es waren keine normalen Bedingungen, und er war jetzt nicht der Henner, der er gewesen war und ganz gewiß einmal auch wieder sein würde. Die seelische Überspannung, unter der er Wochen und Wochen sich über alle Maßen verausgabt hatte, brach jetzt zusammen, es schüttelte ihn, er schluchzte wie ein kleines Kind.
    Sabine war plötzlich so erschöpft und leer, daß sie nur stehenbleiben konnte, wo sie stand, und, obwohl sie ihm helfen wollte, keine Bewegung, kein Wort zustande brachte.
    „Entschuldige“, murmelte Henner nach einer Weile und stand auf. Doch mit dieser Bewegung schlug seine Stimmung um in das Gegenteil. Er ging zur Tür und sagte kalt und feindlich: „Noch bin ich Kommandant. Ich erkenne diese Diagnose nicht an. Wenn du es für nötig hältst, kannst du im Rat darüber berichten.“
    Die Tür schlug zu.
    Sabine sank in den Sessel und weinte. Trotzdem war sie erleichtert. Das Wichtigste, was gesagt werden mußte, war gesagt worden, und es war besser, sie hatte es gesagt und nicht jemand anders. Ja, sie würde, so dachte sie, wenn es nötig sein sollte, im Rat über seinen Gesundheitszustand berichten.
    Aber es kam nicht mehr dazu. Am anderen Morgen alarmierte der diensthabende Pilot die Ratsmitglieder: Von der ATAIR war ein Notruf gekommen. Fast die ganze Besatzung litt an einer CO 2 -Vergiftung, und die zwei oder drei Gesunden baten um ärztliche Hilfe. Wie sich später herausstellte, hatte sich folgendes ereignet: In der Nacht war – wohl infolge von durch die Krankheit bedingten Kontrollfehlern – die Luftregenerationsanlage ausgefallen, und der Pilot merkte es erst, als sich bei ihm die ersten Auswirkungen zeigten: Müdigkeit, Schweißausbrüche und Atemnot. Sofort hatte der Pilot die Sauerstoff-Reserve durch die Ventilation gejagt und die Besatzung geweckt, aber nur wenige waren noch voll einsatzfähig, unter ihnen keiner, der die Anlage hätte reparieren können. So leisteten sie erste Hilfe und riefen die anderen Raumschiffe.
    In dieser Situation zeigte sich Henner Hellrath zum erstenmal offensichtlich den Aufgaben als Kommandant der Expedition nicht mehr gewachsen. Er gab zögernd Befehle, widerrief sie sofort und konnte sich zu nichts entschließen, so daß Lutz ihm schließlich alles abnahm und die

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