Ein Stern für Lou - Die Popkörner ; [1]
Brille endlich, dass er bei mir keine Chance hat?« Sie steckte den Brief achtlos in ihre Jackentasche.
»Willst du ihn nicht lesen?«, hörte Lou Rosa fragen. Aber Billies Antwort bekam sie nicht mehr mit, denn in diesem Augenblick entdeckte sie Motte, die mit einem Buch in einer der Fensternischen hockte. Lou blieb vor ihr stehen. »Hier steckst du! Ich hab draußen auf dich gewartet«, sprudelte es aus ihr heraus. Mist, das hatte sie doch gar nicht sagen wollen!
Wortlos klappte Motte ihr Buch zu und stand auf. Mit einem feindseligen Blick drängelte sie sich an Lou vorbei.
»Was ist denn los? Warum redest du nicht mit mir?«, fragte Lou.
Aber Motte antwortete nicht.
Lou gähnte, während ihr die Bilder des Vormittags durch den Kopf geisterten. Ohne dass sie es richtig gemerkt hatte, war sie auf das Kissen gesackt. Die Augen fielen ihr zu und sie versank in einem kurzen Traum:
Lou ist wieder in Kanada. Über dem dunklen Meer leuchtet ein gelber Vollmond. Lou kommt aus ihrem Blockhaus. Jemand hat sie gerufen. Auf der Wiese vor dem Haus stehen Hunderte von Fahrrädern. Wo kommen die her?
Da hört Lou wieder die Stimme. »Lou«, ruft es. »Louhu!«
Die Stimme scheint vom Wasser zu kommen und Lou bahnt sich mühsam den Weg zwischen Rädern hindurch bis zum Steg. Weit draußen auf dem Meer fährt ein einsames Rad über die Wellen. Es ist Motte! »Komm! Komm zurück ans Ufer«, will Lou ihr zurufen, aber als sie den Mund öffnet, bleibt sie stumm. Noch einmal taucht Motte auf einem Wellenkamm auf. Sie hält etwas in der Hand und winkt. Aber schon ist sie im nächsten Wellental verschwunden. Lou wartet. Gleich, gleich muss sie wieder auftauchen. Da gleitet plötzlich ein großer Adler über das Wasser auf Lou zu. Als er direkt über ihr ist, lässt er etwas fallen. Es ist ein Brief von Motte. Sofort reißt Lou ihn auf und will das Papier herausziehen. Da lodert eine helle Flamme auf und der Brief verbrennt, bevor Lou ihn lesen kann.
Und genau dieses Gefühl, Motte nicht zu erreichen, verfolgte Lou noch die ganze Woche.
8. Song
Es fing damit an, dass Motte am nächsten Morgen nicht aus dem Haus kam. Lou wartete fünf Minuten. Sie wartete zehn. Als Motte um fünf vor acht immer noch nicht da war, klingelte sie. Ihr Onkel machte überrascht auf. »Louise, du hast doch nicht etwa die ganze Zeit gewartet?«
Na ja, wonach sah es sonst aus? »Wir fahren doch zusammen zur Schule«, erwiderte Lou.
Ihr Onkel rieb sich über seine kahle Stelle. »Karlotta liegt mit Kopfschmerzen im Bett. Sie kommt frühestens zur zweiten Stunde.« Er sah sie entschuldigend an. »Sie wollte dich anrufen!«
Lou konnte sich ziemlich genau erinnern, dass an diesem Morgen das Telefon nicht geklingelt hatte. Da musste Motte sie wohl verpasst haben. Egal. Lou zuckte die Schultern und rannte die Treppe runter. »Ich muss los!«
Und als Motte später tatsächlich zur dritten Stunde auftauchte, machte sie ein dermaßen abweisendes Gesicht, dass Lou sie lieber in Ruhe ließ.
Am Morgen darauf erlebte Lou die zweite Überraschung. Dieses Mal kam Motte zwar zur verabredeten Zeit und rang sich sogar ein »Hallo, Louise« ab. Aber als Lou dann ihr Fahrrad aufschließen wollte, hatte es auf beiden Reifen keine Luft mehr. Fassungslos starrte Lou ihr Rad an. Gestern waren doch noch beide Reifen stramm aufgepumpt gewesen! Das war echt seltsam! »Hast du eine Pumpe?«, fragte sie Motte.
»Nö. Die ist irgendwo im Keller.« Motte machte das Gartentor auf und warf einen ungeduldigen Blick auf die Uhr. »Ich muss dann mal. Wenn ich heute wieder später komme, flippt Frau Korte völlig aus.«
Lou ging in Windeseile ihre Möglichkeiten durch: Sie konnte mit platten Reifen fahren und das Rad ruinieren. Sie konnte zu Fuß neben Motte herjoggen – aber im Ernst: Dauerlauf war nicht ihr Ding. Oder sie konnte ihre Mutter wecken und sie bitten, sie zur Schule zu fahren. Da fiel Lous Blick auf Mottes Korb. »Wenn du den Korb runternimmst, könnte ich mich auf den Gepäckträger setzen«, schlug sie zaghaft vor.
Motte schüttelte den Kopf. »Der ist festgeschraubt.«
Sie stieg auf ihr Rad. »Na, dann bis später…«
In diesem Moment ging die Tür der Villa auf und Grandmère trat heraus. Sie trug einen taillierten schwarzen Blazer und um den Hals ein langes weißes Tuch mit schwarzen Punkten. »Bonjour, les filles!« Ihr Blick wanderte zwischen ihren Enkelinnen hin und her und sie erfasste die Situation sofort: Motte startbereit vor dem Tor und Lou mit ihrem
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