Ein Strandkorb für Oma
später springt Mitsängerin Friederike auf den Beifahrersitz, die blonden Zöpfe hängen wie tropfnasse Wäsche von ihrem Kopf.
«Endlich mal wieder ein richtiges Wetter», strahlt sie. Ihre hellblauen Augen leuchten so fröhlich, als würde gerade eine lange geplante Party beginnen. Als Insulanerin weiß sie, dass das Wetter in einer halben Stunde vermutlich wieder ganz anders sein wird.
Friederike zieht eine selbst gebrannte DVD ohne Aufschrift aus ihrer Jacke.
«Die solltest du kennen.»
Ich bin etwas überrascht. Weder habe ich Geburtstag, noch haben wir uns jemals sonst etwas geschenkt.
«Danke, das ist ja nett.»
Vielleicht ist das etwas für einen Fernsehabend mit Maria, wenn auch nicht gerade heute.
Friederike zieht die DVD zurück.
«Du musst mir etwas versprechen, Sönke …»
Das hört sich richtig feierlich an. Was wird das?
«Ja?»
«Du darfst sie niemandem anderem zeigen, auch nicht Maria.»
«Ist das ein Porno, oder was?», frage ich lachend.
Sie verzieht keine Miene.
«Bitte versprich es mir.»
Ich gebe ihr meine regennasse Hand: «Versprochen.»
«Und ich habe sie dir nie gegeben.»
Sie reicht mir die DVD .
Wir umarmen uns kurz, dann reißt sie die Beifahrertür auf und rennt durch den Platzregen zurück zu ihrem Wagen. Ich lege die DVD auf den Beifahrersitz und fahre los.
Zu Hause landet die silberne Scheibe auf der Flurkommode, denn als Erstes muss ich nach der Plastikfolie im Wintergarten sehen. Seit wir die Wand von der Küche zum Garten aufgebrochen haben, leben Maria und ich in einem Provisorium. Der Wintergarten vor der Küche besteht zurzeit aus einem Betonfußboden und einem Stahlrahmen, der fest in Boden und Mauerwerk verankert ist. Was noch fehlt, sind die Scheiben. Die halbblinde Plastikfolie an den Seiten und oben hat trotz des Platzregens erstaunlich dicht gehalten. Mit einem Besenstiel hebe ich sie oben leicht an, damit die schwere, bauchige Pfütze darauf klatschend zur Seite abfließen kann.
Das Handy klingelt: Maria!
Ich bekomme einen leichten Schweißausbruch, als ich rangehe.
«Ja?»
«Moin, Sönke, tut mir leid, es hat länger gedauert.»
«Föhr oder Autobahn?»
«Alles verschoben, hier brennt gerade die Luft. Hast du noch gar nichts gehört?»
«Nein, was denn?»
«Der Hafen ist dicht, jedes Auto wird kontrolliert, die ganze Insel wird von uns auf den Kopf gestellt. Im Kunstmuseum in Alkersum ist ein wertvolles Bild geklaut worden. Die haben sogar einen BKA -Spezialisten eingeflogen.»
Plötzlich wird mir ganz anders.
«Mensch, Oma war mit Jade in dem Museum! Ist jemandem was passiert?»
«Nein, niemandem. Mann, Sönke, für uns ist das eine Steilvorlage!»
«Wie das?»
«Erklär ich dir später, ich muss wieder … Bis dann, ich freu mich.»
«Ja, ich auch.»
Was soll ich denn nun davon halten?
Das Beste ist jetzt, ich kümmere mich erst einmal weiter um unser Essen, wie geplant. Bald schmurgeln zwei Heilbutte, mit Knoblauch und Basilikum gewürzt, im Backofen, das asiatische Gemüse liegt bereits fertig geschnippelt im Wok. Als nichts mehr zu tun ist, schießen meine Gedanken wieder hoch wie eine Boje, die man mit Gewalt unter Wasser gedrückt hat und die jetzt nicht mehr zu halten ist.
Wenn alles dumm kommt und Maria versetzt wird, ist das heute eine Art Abschiedsessen.
Tschüs, Föhr!
Der Regen lässt immer noch nicht nach. Mir fällt die DVD von Friederike wieder ein. Vielleicht lenkt die mich ja ab. Wenn sie so ein Geheimnis darum macht, könnte der Film spannend sein. Ich lege mir auf der Couch ein paar Kissen zurecht und nehme meinen Laptop auf den Schoß. Dann schiebe ich Friederikes DVD in den Schacht.
Sie hat den Film ohne Titel abgespeichert.
Das Bild ist zunächst etwas krisselig. Man sieht den hinteren Teil des «Museums Kunst der Westküste». Friederike wohnt direkt gegenüber, der Film muss von ihrer Überwachungskamera stammen. Ihr Mann lagert wertvolle Kacheln in ihrem Haus, bei ihnen wurde schon mal eingebrochen.
Nichts passiert auf dem Video, nicht einmal Passanten.
Was soll ich damit?
Gerade, als ich vorspulen will, öffnet sich im Parterre des Museums ein Fenster. Eine ältere Dame schaut vorsichtig auf die Straße, erst nach links, dann nach rechts. Das Ganze hat etwas von altem Stummfilm, weil der Ton fehlt und alle Bewegungen dadurch sehr grob wirken. Die ältere Frau trägt einen bunt bekleckerten, ehemals weißen Malerkittel und schaut nun direkt in die Kamera.
Es ist unsere Oma.
Was macht sie
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