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Ein Stueck meines Herzens

Ein Stueck meines Herzens

Titel: Ein Stueck meines Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Ford
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bemerkten es. Er nahm Mrs. Lambs Teller und trug ihn zurück in die Küche.
    »Sehen Sie die Karten?« fragte der alte Mann, lenkte die Aufmerksamkeit aller auf die Wand hinter sich und lehnte sich arrogant in seinem Stuhl zurück.
    Alle, außer Mrs. Lamb, starrten stumpf auf zwei Landkarten, die auf die Wandbretter aus Sperrholz genagelt waren. Die eine war eine mattierte Luftaufnahme einer riesigen unscharfen Masse in Tränenform, wobei die untere Spitze des Tropfens nach innen gebogen war. Die andere Karte war die Arbeit eines Kartographen, zeigte einen Teil des Flusses auf der Höhe von Elaine und ließ erkennen, daß der Fluß gerade wie ein Senkblei an dem Stadtgebiet vorbeiführte, das von zwei konzentrischen Kreisen auf der Karte bezeichnet wurde. Die Karte zeigte aber keine Moräne oder irgendeine Erdformation an, die auf eine Insel verweisen würde. Der Fluß führte gerade an Elaine vorbei, ohne irgendeine Einbuchtung in der einen oder anderen Richtung. Die Karte war vom Ingenieurscorps der Armee angefertigt worden, dessen kleines Kolophon in der rechten unteren Ecke eingeprägt war.
    »Sehen Sie irgendwas Ungewöhnliches?« schnaubte der alte Mann.
    Robard vergrub sein Kinn in der Hand.
    »Was meinen Sie, Sie Schlauberger?« fragte Mr. Lamb. »Sie sehen nichts Ungewöhnliches, oder?«
    »Nur daß die Insel nicht dort auf der Karte ist, wo sie die Luftaufnahme zeigt.«
    Der alte Mann schaute ihn giftig an und redete weiter, als hätte er ihn nicht gehört. »Diese Insel gibt es auf der beschissenen Karte der Ingenieure nicht«, sagte er triumphierend, während ein verwegenes Lächeln sein altes faltiges Gesicht belebte. Mrs. Lamb erhob sich geziert, ging ins Wohnzimmer und setzte sich neben ihr Radio. Sie saß einen Augenblick lang da und starrte auf das Feuer im steinernen Kamin, dann drehte sie die kalten Röhren an. Mr. Lamb musterte sie mit einem merkwürdigen Blick, dann veränderte sich sein Gesichtsausdruck, und er fuhr fort zu erzählen. »Diese verdammten Scheißkerle von der Armee glauben, daß sie furchtbar schlau sind, weil sie rumlaufen, mit allem rummachen und in jedem Graben, der auch nur ’nen Zentimeter hoch Wasser trägt, einen Damm ziehen, bis man die Arschlöcher um ’n bißchen Badewasser bitten muß. Na ja, die hab ich fertiggemacht, Himmel noch mal.« Seine Augen schnellten wild zwischen den beiden hin und her, und er wartete darauf, daß sie endlich eine Frage stellten, aber keiner sagte irgend etwas. »Eines Tages war ich unten am Fluß, muß vor ungefähr zehn Jahren gewesen sein, und schnüffelte da unten rum, ohne irgendwas Bestimmtes vorzuhaben, als ich plötzlich zwei so fette Hirschkühe sah, die über eine kleine Kuppe auf den Fluß zuliefen, und ich bin hinter ihnen hergegangen, weil ich sehen wollte, was sie da unten machen wollten. Also fing ich an, den Hügel hochzulaufen – damals konnte ich noch einen Fuß vor den anderen setzen, ohne auf die Fresse zu fallen –, und plötzlich, kurze Zeit später, hör ich so ein  Bumm-Bumm-Bumm  von der Stelle, wo die Hirsche hingerannt waren. Ich hab mich auf die beschissene Erde geworfen, weil man ja nie wissen kann, was da drüben los ist. Ich bin da ein oder zwei Minuten liegengeblieben und hab nichts mehr gehört, kein Schießen oder Schreien oder sonstwas. Ich bin dann ganz vorsichtig den Hügel hochgekrochen, bis ich auf den Fluß runterschauen konnte, und da waren diese beiden Typen in ’nem Motorboot, die gerade am Ufer anlegen wollten. Sie hatten den Motor hochgewuchtet und stakten ins Wasser rein. Einer von denen hatte zwei Gewehre – zwei von diesen kleinen kurzen Armeegewehren – und der andere stakte das Boot mit einem langstieligen Paddel. Beide waren Armeetypen, das konnte ich sehen, weil sie Uniformjacken anhatten, diese idiotischen Torfköpfe. Und natürlich, genau da am Ufer waren auch die beiden Hirschkühe, mausetot, mitten durch’n Hals geschossen, obwohl sie die eine sogar zweimal totgeschossen hatten. Ich konnte genau sehen, was sich da abspielte, und als sie aus dem Boot stiegen und jeder einen Hirsch packte, kam ich mit meinem Hirschgewehr brüllend über den Hügel gerannt und schnappte sie mir: wegen unbefugten Betretens, wegen Hirschjagd vom Boot aus, wegen Hirschjagd mit einer nicht zugelassenen Waffe, wegen Jagd ohne Lizenz, wegen unerlaubten Schießens eines Hirsches, wegen unerlaubten Schießens eines zweiten Hirsches und wegen Jagd außerhalb der Saison. Ich hatte die beiden Scheißer

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