Ein Stueck meines Herzens
schaut den Richter sehr ernst an und sagt: ›Also, das weiß ich wirklich nicht genau, Herr Richter. Wann stehn Sie denn auf?‹« Die Augen des alten Mannes sprangen vor und zurück, während er auf eine Reaktion wartete. T. V. A. begann zu kichern und knallte mit den Töpfen. Der alte Mann schaute sie noch einen Augenblick an, bis sein Lächeln vollkommen verschwand. » Eins fehlt euch Scheißkerlen ja nun wirklich«, sagte er verwirrt. »Humor. Ihr jungen Leute, alle wie ihr da seid, wißt doch überhaupt nicht, was komisch und was nicht komisch ist, zum Teufel noch mal. Letzte Woche habe ich, bloß um mit ihm zu reden, ohne jeden Hintergedanken, so ’n kleinen Hosenscheißer in Helena gefragt, nur um freundlich zu sein, hab ich ihn gefragt: ›Wo zum Teufel kommt ihr Kinder eigentlich alle her?‹ Und der Mistkerl guckte mich an, als wär ich ’n Haufen Scheiße, und sagte: ›Das müssen Sie mir mal erklären. Ihr habt uns doch die letzten dreißig Jahre gekriegt.‹« Der alte Mann warf ihnen einen schwachen finsteren Blick zu und humpelte in das andere Zimmer.
16
Er stand da und schaute durch die Tür auf den Wald hinaus, wo der Mond einen dünnen glänzenden Nebelstreifen zwischen den Baumkronen entzündet hatte. Er hörte, wie der Farbige die Treppe herunterkam, durch den Vorhof trampelte und die andere Hütte betrat. Er hörte, wie drinnen das Licht angedreht wurde, konnte aber weder das Haus erkennen, noch Licht durch den Eingang schimmern sehen, obwohl er die Füße des Farbigen auf dem nackten Kiefernboden hörte. Über dem Dunstschleier war der Himmel klar. Ein paar kleine Wolkenfleckchen zogen vor die Mondscheibe. Er hörte Elinor, die eine letzte Inspektion des ganzen Hofes vornahm, in den feuchten Blättern herumschnüffeln und im Gras herumscharren. Dann lief sie weiter, wobei ihre Leine leise bimmelte.
Er atmete durch die Fliegentür und leerte seine Lungen, bis er sich wohl fühlte. Ganze Tage hatte er so am nebelverhangenen Fenster gestanden und auf den Park geschaut, während der Abend wie Dunst heraufzog, und hatte versucht, sich zu beruhigen. Spätnachts kamen dann die Qualen, seine Augen brannten und seine Sehnen zuckten. Es waren unvermeidliche Reflexe, wie ein Korb voller Bienen, die durcheinanderwirbelten, um herauszukommen.
Robard, der vor ihm heruntergekommen und sofort ins Bett gegangen war, drehte sich im Schlaf um, stieß einen langen Seufzer aus und scharrte mit seiner Hand an der noppigen Wand.
Er stand am Fliegendraht, zeichnete sich in seiner Unterhose massig gegen das Leuchten des Mondes ab, holte ganz tief Luft, atmete durch das Drahtgeflecht wieder aus und ließ sich völlig von der Leere ausfüllen, die seinen Kopf einen flüchtigen Augenblick lang für alles frei machte.
17
Im Sommer, im winzigen Motelzimmer in Angola, hatte er mit seinem Vater zusammengesessen und aus der Tür auf das Gefängnis gestarrt, ein breites, mit Stacheldraht versehenes Lager, das tagsüber gut zu sehen war und nur ein Ring von winzigen Lichtern bei Nacht. Am Tag zuvor war ein brauner Lieferwagen von Shreveport mit dem elektrischen Stuhl heruntergekommen und durch das Zentrum des Ortes gefahren, so daß jeder in der Sonne stehenblieb und hinschaute. Der Staat besaß nur einen einzigen elektrischen Stuhl und ließ ihn jeweils dorthin schaffen, wo er gerade gebraucht wurde, im ganzen Staat, von Gericht zu Gericht, wo immer jemand hinzurichten war. Um Mitternacht hatten alle in der Stadt das Licht angemacht, standen am Fenster und warteten, und als der Stuhl angestellt wurde, wurden alle Lichter für eine Zeitlang schwächer, alle schimmernden Lichter im Gefängnis wurden schwächer, und in dem Motelzimmer, das er mit seinem Vater teilte, lag er im Bett und sah, wie der Deckenventilator langsamer und langsamer wurde, bis er stehenblieb. Am Morgen war er mit seinem Vater in dessen altem Mercury ans Gefängnistor und hindurchgefahren und weiter auf der gut angelegten Schotterstraße bis zum Lager aus langen weißen Baracken, die wie Hühnerhäuser aussahen. Im Hof war sein Vater ausgestiegen und in ein Büro gegangen, um dem Mann Stärke für die Gefängniswäscherei zu verkaufen, und er hatte in der feuchten Hitze des frühen Morgens friedlich im Auto gesessen, die lange Reihe von gekalkten Baracken hinuntergestarrt und sich gefragt, wo der tote Mann wohl war, und überlegt, ob er und der tote Mann, ein unversöhnlicher Mörder namens Walter L. Magee, dort zusammen eingesperrt waren, oder ob
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