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Ein Stueck meines Herzens

Ein Stueck meines Herzens

Titel: Ein Stueck meines Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Ford
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Rauschen hindurch an den Radioknöpfen zu drehen.
    »Stell die Nachrichten ein, Fidelia«, sagte Mr. Lamb nüchtern und wandte sich so weit um, daß er in den nächsten Raum sehen konnte.
    »Ich suche das Wetter«, sagte sie, starrte auf die kleinen leuchtenden Fensterchen und stöpselte ein Paar uralter Kopfhörer ein, wonach die Geräusche abbrachen. Bis auf den Farbigen, der in der Küche herumhantierte, war es im ganzen Haus still.
    »Mrs. Lamb richtet sich nach dem Wetter«, sagte Mr. Lamb und drehte sich leicht verwirrt wieder um. »Es ist ihr völlig egal, wie spät es ist, Hauptsache, sie weiß, wie das Wetter ist.«
    »Wenigstens macht es ihr nichts aus, daß sie älter wird«, sagte er.
    »Wem zum Teufel macht das was aus?« schnauzte der alte Mann, schob seinen Stuhl zurück und scharrte dabei lärmend über den Fußboden. »Machst du dir Sorgen darüber, daß du alt wirst, T. V. A.?«
    »Nein, Sar«, sagte der unsichtbare T. V. A. aus der Küche. Er konnte die vollgespritzten Schuhspitzen des Farbigen sehen, der sich hinter der Tür hingesetzt hatte.
    »Warum nicht?« fragte der alte Mann.
    »Sar?« fragte T. V. A.
    »Warum machst du dir keine Sorgen darüber, daß du alt wirst, mein Sohn? Newel da macht sich darüber Sorgen. Wir aber nicht, oder?«
    »Nein, Sar.«
    »Warum nicht?« fragte der alte Mann ungeduldig und neigte seinen Kopf, um jedes Wort genau zu verstehen.
    »Weil ich tot wär, wenn ich nicht älter werden würde.«
    »Hahahahaha.« Der alte Mann brach in erstickendes Gelächter aus. T. V. A. rührte sich hinter der Tür überhaupt nicht. Mr. Lamb schlug mit seiner Faust auf den Tisch, alle Gläser erzitterten und Tee schäumte an beiden Seiten des Kruges hoch. »Sie wär’n tot, Newel, wenn Sie nicht älter werden würden«, winselte der alte Mann, der gerade noch die paar Worte herauskriegte. »Sie auch, Hewes, Sie wär’n auch tot. Wir wären  alle  tot.«
    Mr. Lamb holte wieder seine Zähne aus dem Mund, tauchte sie in sein Eisteeglas, schwenkte sie mit den Fingern hin und her und ließ sie dann langsam auf den Boden des Glases sinken. Er schaute auf, seine Wangen waren über dem Gaumen eingesunken und sein Mund flatterte wie die Düse eines schlaffen rosa Luftballons, was ihn eher wie eine alte Frau als wie einen alten Mann aussehen ließ.
    »Ich will Ihnen mal was erzählen, was Sie  nicht  wissen, Newman«, sagte der alte Mann undeutlich und faltete seine Hände adrett vor seinem Körper.
    »Früher war dasch so« nuschelte er, während seine Zähne nutzlos am Boden des Teeglases herumtrieben, »wenn ein Mann ins Gefängnis kam, dann kamen die großen Knastexperten und zogen ihm alle Zähne, weil sie sich damals ’ne Theorie zurechtgebastelt hatten, daß schlechte Zähne an allen Verbrechen schuld sind. Es war nicht die Kindheit, oder ob die Mutter mal von ’nem Ziegenbock erschreckt worden ist, oder in was für ’ner Nachbarschaft man lebte, oder ob die Mutter einen wie ein Mädchen angezogen hat – nichts von diesem Quatsch. Es war’n die  Zähne . Wenn man schlechte Zähne hatte, war man ein Verbrecher. Also sind sie in alle Gefängnisse gegangen, haben angefangen, jedem die Zähne rauszureißen, und haben sie dann einfach laufen lassen. Also ich finde, das ist ’ne ziemlich gute Idee, finden Sie nicht? Das wußten Sie doch bestimmt nicht.«
    Er beobachtete, wie die zahnlosen Kiefer des alten Mannes aufeinandermahlten. »Hat man Ihnen da Ihre ganzen Zähne gezogen?«
    Der alte Mann lächelte finster, und seine Hände blieben wie festgeklebt auf dem Tisch liegen. »Nein, die haben sie mir in Memphis gezogen«, sagte er.
    »Haben Sie seitdem irgendwelche Verbrechen begangen?«
    »Nur eins«, sagte der alte Mann.
    »Und was für eins?«
    Die Augen des alten Mannes blitzten auf, er wischte sich die Lippen mit dem Ärmel und entblößte ein breites leeres Grinsen. »Ich mußte eines Tages so ’nem Klugscheißer die Fresse polieren. Aber das war der einzige, den ich kennengelernt hab, und seither mußte ich’s nicht wieder tun.« Mr. Lambs blaue Augen flackerten gefährlich, und er fixierte ihn mit einem langen, angespannten Lächeln. »Kennen Sie den Witz über den Nigger, den man beim Klauen von Axtstielen erwischt hatte und der nun vor den Richter gerufen wurde?« Mr. Lamb erhob sich und stützte sich auf den Stuhlrücken. »Der Richter schaut sich den Neger sehr gründlich an und fragt dann: ›Rufus, mußtest du schon einmal vor mir aufstehen?‹ Und der Nigger

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