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Ein Sturer Hund

Titel: Ein Sturer Hund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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ebenfalls flüsternd: »Ich finde, der gute Mann sieht weder wie ein belgischer Hilfskoch noch wie ein ungarischer Reiseleiter aus.«
    »Sondern?« fragte Thomas.
    Mortensen hatte jedes geflüsterte Wort verstanden. Mit verschränkten Armen und versteinertem Blick betrachtete er die Reihe von Flaschen im Rückteil der Bar. Er löste die Verschränkung und plazierte seine Ellbogen auf der Theke, stützte mit den zu einem Doppelbett zusammengeschobenen Handballen sein Kinn und legte dabei die geschlossenen Fingerreihen über seine Ohrmuscheln. Er wollte nicht hören, wofür ihn dieser Mike hielt, dieser schreckliche silbergraue Mensch. Doch es half nichts, denn Mike sprach mit einem Mal recht deutlich, als er meinte: »Wie ein deutschsprachiger Südtiroler.«
    »Ist deutschsprachig denn ein Beruf?« fragte Thomas.
    »In Südtirol vielleicht schon«, erklärte Mike so anzüglich wie ernsthaft.
    »Geh jetzt endlich! Sonst kriegen wir noch Ärger.«
    »Reg dich ab, Junge. Und konzentrier dich auf unsere polnische Schönheit.«
    Damit verließ der Silbergraue endlich Tilanders Bar .
    Als sich die Tür hinter ihm schloß, trat bei Thomas und Mortensen eine deutliche Erleichterung ein. Vielleicht auch bei der Dame, die in der Ecke saß und an ihrem Rotwein nippte. Es war schwer zu sagen, ob sie etwas von dem Gespräch mitbekommen hatte. Auf jeden Fall ließ sie sich nichts anmerken, wirkte abwesend, in Gedanken versunken. Sie brauchte keine zwei Handballen, um ihren Kopf zu stützen. Ein abgewinkelter, gegen das Jochbein gestellter Zeigefinger genügte. Nach Mortensens Empfinden wirkte sie viel zu entspannt, um den sie betreffenden Aspekt der Nuttendiskussion aufgeschnappt zu haben.
    Gäste gingen und kamen. Mehrmals sah Thomas auf die Uhr, gab dann aber doch eine weitere Bestellung auf. Die Zeit tröpfelte mehr, als daß sie verging. Nur die Frau in der Ecke schien, wenn schon nicht ohne Uhr, so doch ohne das Bedürfnis, sich um dieses Tröpfeln zu kümmern. Sie saß da, einen Stift in der Hand, mit dem sie hin und wieder einen Strich über ein Stück Karton zog, einen Bierdeckel. Dann sah sie auf, warf einen kurzen, scheinbar ziellosen Blick in den Raum und war auch schon wieder in sich versunken.
    Es kam Mortensen vor, als versuche Thomas einen Kontakt zu der Frau herzustellen, sie auf sich aufmerksam zu machen. Es war die Art, wie er sein Glas hob. Als stemme er mit großem Feingefühl irgend etwas Neugeborenes in die Höhe. Bezeichnenderweise hatte er ebenfalls zu Rotwein gewechselt und behielt das Glas eine ganze Weile in der Schwebe. Offenkundig wartete er auf die Möglichkeit, der Frau zuzuprosten. Eine Möglichkeit, die ausblieb. Der einzige, dem die Frau beizeiten einen Blick zuwarf, war der Barkeeper. Er bediente sie ohne großes Theater, auch ohne Worte, indem er auf ihr Nicken hin den Wein nachfüllte.
    Mortensen mutmaßte, daß Thomas es einfach nicht wagte, aufzustehen und zu dieser Frau hinüberzugehen, um sie anzusprechen. Daß er nach und nach unsicher geworden war und nun eine Abfuhr fürchtete. Und daß er Abfuhren – egal welcher Art – nicht vertrug.
    »Er ist Niederlagen nicht gewohnt«, dachte sich Mortensen. »Er weicht ihnen aus, wo er nur kann. Treibt nie ein Spiel ohne die Gewißheit, es mit großer Wahrscheinlichkeit gewinnen zu können. Wobei das Eroberungsspiel zweifellos zu jenen Dingen gehört, in denen er flink und geschickt und erfolgreich vorgeht und folglich einen Bonus an Sicherheit besitzt. Doch nicht heute abend. Nicht angesichts dieser Frau. Was tut sie eigentlich? Sie kritzelt auf ihrem Bierdeckel herum. Das ist es auch schon. Sie kritzelt und trinkt Wein. Eine phantastische Frau. Eine Frau, die ich mir für eines meiner Bücher wünschen würde.«
    Mortensen wußte ganz gut, daß seine Frauenfiguren nicht viel hergaben und Schablonen blieben. Oder – noch schlimmer – Karikaturen. Daß dies auch für seine Männergestalten gelten konnte, auf die Idee kam er nicht. Seine Frauen mochten blutleer oder monströs sein, nicht seine Männer.
    Es war kurz vor halb zwölf, als Thomas seine Rechnung bezahlte und sich erhob. Er wirkte angespannt und unzufrieden. Mürbe von der Warterei. Dazu kam eine leichte Betrunkenheit, die er so nicht geplant hatte. Wäre diese Frau nicht gewesen, hätte er nach den zwei Bieren sicher keine drei Gläser Rotwein getrunken. Er rutschte von seinem Sitz und bewegte sich auf die Garderobe zu, wo er in seinen Regenmantel geradezu einfädelte. Während er die

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