Ein Sturer Hund
Es kommt überhaupt nicht darauf an, wer oder was du bist. Du siehst hübsch aus. Ich finde, das genügt. Mehr zu verlangen, wäre schamlos.«
Mortensens Ampel sprang auf Grün. Er hätte jetzt gehen können, gehen müssen, um so mehr, als er von der Kuppe her eine herannahende Stadtbahn kommen sah. Aber er blieb wie angewurzelt stehen. Er kramte in seinen Taschen, um sein Verhalten zu begründen, tat so, als suche er seine Geldbörse, seinen Fahrschein, etwas in dieser Art. Lächerlich. Aber ohnehin wurde er von den beiden anderen nicht beachtet, die nun ihrerseits, mit einem Mal Arm in Arm, den Zebrastreifen überquerten, und zwar bei Rot.
Mortensen verzichtete auf seine Bahn und ging hinter dem Pärchen her. Unnötig zu sagen, daß er etwas derartiges nie und nimmer vorgehabt hatte. Sein eigenes Verhalten erschien ihm rätselhaft und fremdartig. Und um sich nun selbst wieder etwas vertrauter zu werden, ordnete er dies alles seiner schriftstellerischen Ader, seinem selbstredend beruflich motivierten Voyeurismus zu. Er war hier auf Recherche wie andere auf Streife. Er sah mit einem Mal eine Pflicht in dem, was er tat. Das Wort »Pflicht« glühte geradezu in seinem Schädel.
Solcherart sein Handeln veredelnd, folgte Mortensen dem Paar in eine nach rechts abbiegende schmale Straße. Gegen die Mitte dieser Straße hin führte Thomas die Frau zwischen zwei Häusern in einen Hinterhof. Während die beiden bereits an der Eingangstür des Gebäudes angekommen waren, das den rückwärtigen Teil der Anlage ausfüllte, trat Mortensen bloß einen einzigen Schritt in den Durchgang und preßte seinen Körper gegen die Mauer. Er war vollkommen in ein Schwarz getaucht, besaß aber einen guten Blick auf den jetzt erleuchteten Hauseingang, in welchem Thomas und die Frau standen. Es sah aus, als hingen die beiden in einer bodenlosen Dunkelheit, über sich eine kleine hellgelbe Sonne. Ein putziges Bildchen, das jeden Verdacht an polnische Hurerei – würde er überhaupt noch bestanden haben – zerstreut hätte. Thomas hatte seine Unterarme tablettartig unter jene der Frau geschoben, was einen Eindruck vorsichtiger Nähe vermittelte. Die beiden sprachen miteinander, doch Mortensen vernahm ihre Stimmen nur undeutlich. Die Wortfetzen – ein Glas Wein … nur kurz … wirklich nur kurz – verwiesen auf die völlige Normalität dessen, was da im Schein der Lampe vor sich ging.
Thomas löste seine Unterarme von der Frau, holte einen Schlüssel aus seiner Tasche und öffnete die Eingangstüre. Mortensen konnte durch die erleuchteten Fenster des Treppenhauses erkennen, wie die beiden bis ins vorletzte Stockwerk hinaufstiegen. Er sah Topfpflanzen in den Fensternischen, sogar schmückende Bilder. Freilich nicht das, was auf diesen Bildern dargestellt wurde, sondern eben bloß den Umstand, daß kleine, farbige Tableaus die Wände des Stiegenhauses zierten. Höchstwahrscheinlich Postkartenmotive, dachte Mortensen, geklebte Puzzles, Aquarelle vom Gardasee, dazu Anweisungen bezüglich der Hausordnung. Es schien sich um einen jener Bauten zu handeln, die aus dem Schrott der Nachkriegszeit geformt worden waren. Sicher kein nobles Haus, aber sauber. Viele Pflanzenliebhaber. Studenten und Rentner. Nicht unbedingt der Ort, der zur dunkelblauen Noblesse eines jungen Aufsteigers paßte.
Mortensen konnte sehen, wie links vom Treppenhaus das Licht anging. Eine dreigliedrige Fensterreihe war zu erkennen, jedoch keine einzige Topfpflanze. Sein Blick fiel auf ein Stück weißen Plafonds. Mehr war für Mortensen nicht zu erkennen. Die Feuchtigkeit kroch ihm die Beine hoch. Ihm war kalt. Es war ja doch Winter, auch wenn viele Menschen sich beschwerten, es würde heutzutage keine richtigen Winter mehr geben. Aber um zu frieren und sich eine Erkältung einzufangen, würde es wohl reichen.
Doch Mortensen hatte nicht genug. Er war jetzt nur noch ein Schriftsteller in Pflichterfüllung, der seine Gesundheit aufs Spiel setzte, um seine Nachforschungen weiterzutreiben. Zumindest wollte er den vollständigen Namen des Mannes wissen, hinter dem er her war, bloß weil dieser sich Bruchlandung und die anderen beiden Bücher ausgeliehen hatte.
Mortensen ging zum Hauseingang, der nun wieder im Dunkel lag, und drückte einen an der Außenwand angebrachten Lichtschalter. Er befand sich jetzt unter einem kleinen Vordach, von dessen Unterseite eine kugelige Lampe strahlte. Neben der Tür leuchteten die Schilder einer Gegensprechanlage. Mortensens Hoffnung ging in
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