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Ein Sturer Hund

Titel: Ein Sturer Hund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Knopfreihe schloß, warf er einen letzten Blick auf die Frau, die sich – zum ersten Mal an diesem Abend – eigenhändig eine Zigarette anzündete. Sie tat dies, als setze sie eine kleine, aber komplette Welt in Brand. Thomas schluckte. Indem er ersatzweise dem Barkeeper zuwinkte, verließ er Tilanders Bar .
    Nicht, daß Moritz Mortensen vorhatte, seine Verfolgung erneut aufzunehmen. Vielmehr drängte es ihn nach Hause. Doch noch bevor er den Barmann um die Rechnung bitten konnte, war dieser zu der dunkelblonden Frau getreten, die nun ebenfalls zahlte. Dann endlich war Mortensen an der Reihe.
    Als er sich wenig später seinen noch immer feuchten Wollmantel überstreifte, trat die Frau gerade ins Freie. Sie hatte die Tür so weit aufgestoßen, daß auch Mortensen noch hindurchkam. Einen kurzen Moment standen sie nebeneinander, wie hingewürfelt, und als wüßten beide nicht, was sie eigentlich vorhatten. Als erste brach die Frau aus ihrer Unschlüssigkeit aus, bewegte sich nach rechts, die ansteigende Straße aufwärts. Mortensen sah ihr hinterher, betrachtete den hellen Mantel, der oberhalb der Kniekehlen endete. Betrachtete die Beine in den dunklen Strümpfen und fühlte sich bestätigt. Der Turmspringerinnentyp. Kräftig und schlank zugleich. Muskulös, aber nicht zu muskulös. Und derart elegant in der Art des Gehens, wie etwa Schwimmerinnen dazu niemals in der Lage waren. Für Mortensen war überdeutlich zu erkennen, daß diese Frau sich viele Jahre ihres Lebens über Trampoline und die Plattformen der Sprungtürme bewegt hatte. Jeder ihrer Schritte wirkte wie die Vorbereitung zu einem Abheben.
    Mortensen konnte in beide Richtungen gehen, da er genau zwischen zwei Stationen der Stadtbahn stand. Aber natürlich wäre es bequemer gewesen, bergab zu marschieren. Dennoch entschied er sich für die Richtung, welche die Frau gewählt hatte. Nicht um ihr zu folgen. Gott behüte, davon hatte er genug. Er fand es schlichtweg erfreulich, noch ein wenig ihren Gang, ihre Leichtfüßigkeit beobachten zu können. Eine polnische Hure? Was für ein Unsinn. Andererseits gab es natürlich keine Garantien dafür, in welchen Berufen Turmspringerinnen landeten, wenn sie einmal nicht mehr von den Türmen dieser Welt sprangen.
    Es hatte aufgehört zu regnen. Zum ersten Mal kam es Mortensen zu Bewußtsein, daß ein solcher Regen – war er kräftig genug – tatsächlich auch eine Säuberung bedeutete, als sei die ganze Stadt durch eine Waschanlage geglitten. Fahrbahn und Fußweg glänzten wie polierte Bowlingbahnen, während die geparkten Autos den Charakter ausgestellter Neuwagen besaßen. Und auch wenn es nicht nach frischer Wäsche roch, so eben nach frischem Gemäuer und frischen Dächern. Kam ein Wagen vorbei, so hörte sich dies an, als stünde man am Rande eines Sportwagenrennens. In der gereinigten Luft tönte ein jedes Geräusch ungleich heftiger.
    An der Ecke sah Mortensen ihn stehen, den jungen, schlanken Mann in seinem Regenmantel, die Tasche mit den Büchern unterm Arm. Er wartete an einer Ampel. Obwohl nirgends ein Auto zu sehen war, hielt er sich an das Verbot, die Straße bei Rot zu überqueren.
    Noch bevor die Ampel auf Grün gesprungen war, hatte die Frau in ihrem kurzen, beigen, an der Taille zusammengeschnürten Mantel den Wartenden erreicht. Welcher natürlich nicht den Farbenwechsel der Ampel herbeigesehnt hatte, sondern das Eintreffen eben dieser Frau, die jetzt ihre Arme verschränkt hielt, während ihr Kopf leicht zur Seite geneigt war. In Richtung auf den Dunkelblauen.
    Inzwischen war es Grün geworden, ohne daß sie losgegangen wären. Mortensen versuchte, etwas von dem Gespräch aufzuschnappen, das die beiden zu führen begonnen hatten. Wobei ihm nicht klar war, wer von wem angesprochen worden war. Auf jeden Fall schien die Frau einiges aus der Unterhaltung in Tilanders Bar mitbekommen zu haben, denn Thomas entschuldigte sich jetzt für seinen Freund, indem er erklärte, Mike sei ein unmöglicher Kerl, ein Provokateur und Zyniker.
    »Und was sind Sie?« fragte die Frau, der es an einem polnischen Akzent fehlte. Wie auch an einem schwäbischen. Ihr Deutsch klang frei von jeder Last.
    Thomas dachte nach, als hänge eine ganze Menge von seiner Antwort ab.
    »Lassen wir das bleiben«, nahm die Frau ihre Frage zurück.
    »Was …?« zeigte sich Thomas verwirrt.
    »Es kommt ja nicht darauf an, ob du ein geringerer Zyniker bist als dein Freund«, wechselte sie umstandslos die Anrede. »Oder gar ein guter Mensch.

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