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Ein Sturer Hund

Titel: Ein Sturer Hund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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wie über eine weise Entscheidung.
    Nachdem die beiden Frauen das Lokal verlassen hatten, war Mortensen auf einen der freigewordenen Barhocker gerutscht und ein knappes Stück an den Dunkelblauen und seinen Freund herangerückt. Ohne daß dies bemerkt worden wäre. Es kümmerte sich niemand um ihn.
    Mortensen sah jetzt praktisch in den Rücken des Silbergrauen hinein, dessen Stimme einen weichen, milden Klang besaß. Auch wenn er wohl alles andere als ein milder Typ war. Eher einer von denen, die es verstanden, ihre Mitmenschen mit einem treuherzigen Gesichtsausdruck zur Sau zu machen. Er sprach mit gespielter Ernsthaftigkeit: »Weißt du, Thomas, wir sollten mit Kollegen Nanz nicht zu hart ins Gericht gehen. Er mag eine jämmerliche Kröte sein, aber wer in diesem Unternehmen ist das nicht? Uns beide einmal ausgenommen. Nanz hat unwissentlich die Herzensdame des Chefs bestiegen, und jetzt geht ihm die Muffe eins zu tausend. Das ist ein Fehler. Ich meine, daß ihm die Muffe geht, ist ein Fehler. Daß er auf seinen kleinen Knien herumwetzt und um Vergebung bettelt. Wem sollte das nützen? Ihm selbst am allerwenigsten. Ich meine, wir müssen Nanz klarmachen, wie ungeschickt er sich verhält, daß es weit besser wäre, er würde zu dem, was passiert ist, auch stehen. Denn wie muß das auf unseren lieben Chef wirken, wenn sich Nanz derart von dieser Dame distanziert? Wenn er vorgibt, eine bloße Betrunkenheit seinerseits sei schuld gewesen. Was soll das denn bitte heißen? Daß er, wäre er nüchtern gewesen, sich niemals mit dieser dämlichen Schachtel eingelassen hätte? So muß sich das für unseren Chef anhören, denke ich. Ein Kompliment ist das nicht.«
    Mortensen hörte nicht weiter zu. Was interessierten ihn die Interna irgendeiner Firma. Doch immerhin wußte er jetzt, daß der Dunkelblaue mit Vornamen Thomas hieß. Dessen Gesicht er nur dann zu sehen bekam, wenn sich dieser nach vorne beugte, um nach seinem Glas zu greifen. Mortensen konnte dann das breite Grinsen erkennen. Der Fall Nanz schien für Thomas eine überaus unterhaltende Wirkung zu besitzen. Sein dunkelblauer Körper wippte geradezu vor Vergnügen.
    »Und das also ist mein Leser«, dachte Mortensen, trank sein Bier aus und war im Grunde entschlossen, nach Hause zu fahren.
    Der Mann hinter der Theke hob das leere Glas in die Höhe und vollzog einen Blick, der nicht fragend war, sondern bloß abwartend. Als ginge es ihm, dem Barkeeper, keineswegs darum, ein weiteres Bier zu verkaufen. So wenig, wie er dies ausschließen wollte.
    Mortensen jedoch meinte, er müsse aus purer Höflichkeit noch eine Bestellung in Auftrag geben, und tat dies auch. Vielleicht war aber doch das Bedürfnis nach Alkohol im Spiel, obgleich Mortensen sicher kein Trinker war. Zumindest nicht nach seinen eigenen Kriterien. Für ihn war ein Trinker jemand, der auch genauso aussah, also zerstört, aufgedunsen, debil und ungepflegt. Und obwohl er selbst nicht gerade das blühende Leben verkörperte, fand er, daß von Zerstörung keine Rede sein konnte. Er sagte von sich, daß er hin und wieder trank, nie vormittags, selten während der Arbeit, kaum ohne eine vernünftige Unterlage. Und er sagte von sich, er kenne seine Grenzen. Daß er selbige ab und zu verschob wie eine von diesen praktischen, weil variablen Polizeiabsperrungen, war allerdings auch eine Tatsache.
    »Hübsche Frau. Schon mal gesehen?«
    Der Silbergraue hatte die Frage gestellt. Und sie natürlich an Thomas gerichtet. Aber auch Mortensen – der die letzten Minuten offenen Auges vor sich hingedöst hatte – hob seinen Kopf leicht an. Ein reiner Reflex, der jedoch in die Ordnung eines suchenden Blicks überging. Rasch hatte Mortensen den Grund für die leichte Unruhe gefunden, die Thomas und den Silbergrauen erfaßt hatte. In der schräg gegenüberliegenden Ecke des Tresen hatte soeben eine Frau auf einem der hohen Hocker Platz genommen. Und zwar mit einer Bewegung, die an das virtuose Erreichen eines Ziels erinnerte. Wie ein Pfeil, der einen anderen spaltet, um im Mittelpunkt zu landen. Die Frau war alleine, und man konnte spüren, daß sie es auch bleiben wollte. Sie besaß ein merklich breites Gesicht, das dieser Breite wegen unnatürlich groß erschien. Dieses physiognomische Übergewicht wirkte weit weniger irritierend als anziehend. Der slawische Typ, dachte Mortensen und meinte damit wohl eine gewisse bäurische Herbheit, als würden alle Slawen direkt aus dem Kartoffelacker herauswachsen. Und tatsächlich

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