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Ein Sturer Hund

Titel: Ein Sturer Hund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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akzentfreies Deutsch«, stellte Mortensen fest, während er den blaßen Wein in die dickwandigen, tulpenförmigen Gläser einfüllte.
    »Finden Sie? Also, ich halte mein Deutsch für Wienerisch. Und zwar eindeutig.«
    Es war nicht so, daß Mortensen die wienerische Färbung in Chengs Aussprache entgangen wäre. Mit »akzentfrei« hatte er natürlich das Fehlen eines Tonfalls gemeint, der exotischer war als der ostösterreichische Singsang, welchen Cheng praktizierte.
    »Was macht ein Wiener in Stuttgart?« fragte Mortensen.
    »Sich ausruhen. Wenn man vierzig Jahre in Wien gelebt hat, hat man das Recht, mal ein wenig zu verschnaufen.«
    »Ich wußte nicht, daß es anstrengend ist, Wiener zu sein.«
    »Ist es aber, Herr Mortensen, ist es. Vor allem, wenn man für einen Chinesen gehalten wird.«
    »Tja, wenn man Sie so ansieht, kommt man nicht ganz umhin …«
    »Achtung!« warnte Cheng, »ich bin so wenig ein Chinese, wie Sie ein Norweger sind.«
    »Ach was!« schnaufte Mortensen.
    »Soweit ich weiß«, präzisierte Cheng, »ist der Name Mortensen norwegischen Ursprungs. Vielleicht auch schwedischen. Woraus jedenfalls folgt, daß einer Ihrer Vorfahren aus dem skandinavischen Raum stammt. Bloß, daß Ihnen, Herr Mortensen, das Skandinavische nicht wie eine Nabelschnur aus der Nase hängt. Was in meinem Fall ein wenig anders ist. Aber glauben Sie mir, ich bin ein verdammter Wiener. Auch wenn ich wie ein verdammter Chinese aussehe.«
    » Verdammt im Sinne von verwünscht , nehme ich an?«
    »Was denn sonst? Also, Herr Mortensen, prost!«
    Die Männer stießen mit ihren Gläsern an und tranken. Für den Hund war dies wie ein Zeichen. Er sank zurück in seine liegende Haltung und gab beim Ausatmen einen tiefen Seufzer von sich. Seine Ohren standen jetzt schräg zur Seite, die Spitzen leicht eingeknickt.
    »Interessanter Hund«, meinte Mortensen.
    »Ein alter Freund«, erklärte Cheng.
    Als halte Mortensen überproportionierte Ohren (oder eben Hüte) für ein Signum der Anhänglichkeit, sagte er: »Schrecklich treu, nicht wahr?«
    »Keineswegs. Lauscher ist das Gegenteil von einem treuen Hund. Ich bin es, der hier den Treuen spielen muß.«
    »Lauscher!? Ein sehr bildhafter Name für den Hund eines Detektivs.«
    »Bildhaft, ja. Aber irreführend. Lauscher ist zwar nicht wirklich taub, aber das Hören zählt kaum zu seinen Domänen.«
    »Nichts ist so, wie es klingt oder scheint.«
    »Ja. So ist das fast immer. Große Ohren, große Worte, große Männer. Und jedesmal steckt ein Betrug dahinter«, postulierte Cheng und fragte nach, wie Mortensen der Wein schmecke.
    »Nun … er schmeckt … spannend. Er besitzt etwas … Direktes. Ein Wein für den Sommer.«
    »Genau«, sagte Cheng. »Also, Herr Mortensen, genug der Ouvertüre, kommen wir zu Ihrem Problem. Falls Sie noch darüber reden wollen.«
    Mortensen nickte und beschrieb nun, wie alles gekommen war, wie er Thomas Marlock von der Bibliothek aus gefolgt war, um etwas über diesen Leser seiner Bücher zu erfahren. Und wie ihm das Malheur passiert war, ein Verbrechen zu beobachten, für das die Polizei nun einen Unschuldigen zur Verantwortung zog.
    Als Mortensen geendet hatte, sagte Cheng: »Unschuldige gibt es nicht. Glauben Sie mir das.«
    »Aber es gibt Mörder, und es gibt Nicht-Mörder. Dieser Mann, vom dem ich nur weiß, daß er den Vornamen Mike trägt und daß er für ›Kranion‹ erfolgreiche Software entworfen hat, war weder in Marlocks Wohnung, noch hat er dessen Kopf ins Aquarium befördert.«
    »Ja. Das sagten Sie bereits. Die Dame mit dem slawischen Gesicht soll’s gewesen sein. Das gibt mir zu denken.«
    »Wie meinen Sie das?«
    »Rein persönlich. Ich habe kein Glück mit mordenden Frauen.«
    »Ihr Arm?«
    »Richtig, der hat damit zu tun. Und auch, daß ich ein klein wenig hinke. Und daß mich hin und wieder ein Schwindel im Kopf packt. Und wenn ich jetzt an all diese Handicaps denke, sage ich mir, daß ich eigentlich die Finger von einer solchen Geschichte lassen sollte. Einer Geschichte wie der Ihren.
    Aber Sie wissen ja, wie das ist: Der klassische Detektiv muß sich stets jener Fälle annehmen, die ihn selbst an den Rand des Abgrundes bringen. Aber das ist natürlich kokett. Ich habe aus der Erfahrung meine Konsequenzen gezogen und vermeide eine Vorgehensweise, die mich ernsthaft gefährden könnte. Bedenken Sie das bitte, wenn Sie mich engagieren wollen. Ich werde weder Kopf noch Kragen noch meinen Arm riskieren, um ein Verbrechen zu lösen.«
    »Ich

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