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Ein Sturer Hund

Titel: Ein Sturer Hund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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aufrichtete, und zwar so zögerlich, daß man meinen konnte, es würde sogleich wieder in sich zusammenbrechen. Tat es aber nicht, sondern stand nun endlich so aufrecht wie möglich auf seiner Unterlage. Es handelte sich um einen Hund. Einen merkwürdigen Hund, dessen kleiner Körper und kurze Beine einen muskulösen Eindruck hinterließen. Wobei nicht jene Kraft gemeint ist, die einem der Anblick von Kampfhunden suggeriert. Oder der Anblick von Sprintern. Nein, es war die Kraft, die nötig war, um einfach stehenzubleiben. Und um sich zu widersetzen. Die Kraft ungebändigten Eigensinns. Ja, dieser kleine Hund wirkte wie ein sehr kompaktes Stück leibhaftig gewordener Sturheit. Im ersten Moment war es jedoch etwas anderes, das auffiel: nämlich seine Ohren, die viel zu groß waren, viel zu hoch über seinem kleinen Dackelschädel aufragten. Ohren, die an irgendeine traditionelle Huttracht erinnerten. In der Tat, dieser Hund machte auf Mortensen den Eindruck eines Hutträgers. Eines sturen Hutträgers.
    Der sture Hutträger betrachtete Mortensen mit einem müden Blick. Allerdings befürchtete Mortensen, daß in diesem trägen Gehabe eine wachhundartige Mentalität schlummerte. Weshalb er lieber vor der Vitrine stehenblieb und nochmals »Hallo!« sagte. Sekunden später vernahm er Geräusche aus dem Nebenraum. Die Tür wurde geöffnet, und herein trat ein Mann, der nicht weniger verschlafen aussah als der Hund. Was bei dieser Wärme auch kein Wunder war. Gerne hätte sich Mortensen augenblicklich in einem der beiden Fauteuils niedergelassen, die wahrscheinlich einst den Kunden des Schusters gedient hatten, um darin sitzend sich ihre Füße abmessen zu lassen.
    »Markus Cheng«, stellte sich der Mann vor, der offenkundig chinesischer Abstammung war, auch wenn sich herausstellen sollte, daß diese Abstammung für ihn so weit entfernt lag wie das Land seiner Eltern und Ahnen.
    Cheng streckte seine Hand aus. Während Mortensen sie schüttelte, fiel ihm auf, daß der Sakkoärmel, in dem eigentlich der linke Arm Chengs hätte stecken müssen, flach und hängend in die Tasche führte, wie dies bei Leuten mit einem fehlenden Arm der Fall ist. Von der Schulter bis zur Mitte des Ärmels war dieser jedoch ausgefüllt, so daß also die Amputation auf Höhe des Ellbogens erfolgt sein mußte.
    Mortensen stierte ein wenig zu lang auf die Stelle des fehlenden linken Unterarms.
    »Nehmen Sie doch bitte Platz, Herr …«, bot Cheng an.
    »Mortensen. Moritz Mortensen. Verzeihen Sie. Es ist unhöflich von mir. Einerseits vergesse ich, mich vorzustellen. Statt dessen gaffe ich Sie blöde an, beziehungsweise Ihren Arm …«
    »Genieren Sie sich nicht. Wenn etwas nicht da ist, fällt es auf. Würde Ihnen, Herr Mortensen, ein Ohr fehlen, käme ich ja auch nicht daran vorbei, es anzusehen, Ihr fehlendes Ohr. Man interessiert sich nun mal viel eher für die abwesenden Dinge als für die, die da sind, wo sie hingehören. Nun, an einem Ohr mangelt es Ihnen ja offensichtlich nicht. Also, was kann ich für Sie tun?«
    Während die beiden in den wuchtigen gepolsterten Sesseln Platz nahmen, erklärte Mortensen: »Ich habe Ihren Namen aus dem Telefonbuch. Ich weiß also nicht, welche Art von Fällen Sie bereit sind zu übernehmen.«
    »Fälle, die mich nicht auch noch meinen zweiten Arm kosten. Et cetera.«
    Chengs Lächeln war frei von Bitterkeit. Das mochte nicht immer so gewesen sein, aber welchen Umständen er auch immer seinen fehlenden Arm verdankte, er war darüber hinweggekommen. Er war wie jemand, der meinte, das Schrecklichste bereits hinter sich zu haben und nur noch eine Art von Zugabe leben zu müssen.
    »Ich fürchte«, sagte Mortensen, »Sie werden nicht begeistert sein. Die Angelegenheit, mit der ich Sie gerne betrauen würde, ist kompliziert … sicherlich ungewöhnlich.«
    »Lassen Sie einmal hören. Übrigens, darf ich Ihnen etwas anbieten? Wenn es Ihnen recht ist, würde ich gerne eine Flasche Weißwein aufmachen.«
    Bevor Mortensen behaupten konnte, vor dem Abend nicht zu trinken, war Cheng aufgestanden und im hinteren Raum verschwunden. Als er zurückkam, hatte er eine geöffnete Flasche in seiner rechten Armbeuge, während die beiden Gläser zwischen den Fingern der einen Hand wie auf einem Gestell baumelten.
    »Seien Sie so gut, Herr Mortensen«, sagte Cheng, »nehmen Sie mir das ab und schenken uns ein. Ich bin schon seit langem davon abgekommen, die Leute mit Geschicklichkeitsübungen zu begeistern.«
    »Sie sprechen ein

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