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Ein Sturer Hund

Titel: Ein Sturer Hund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Schutze kräftiger Wolle durch die Kälte zu befördern. Und es war sicher kein Nachteil, daß sich Chengs Büro nicht am anderen Ende dieser vom Schnee verklebten und verstopften Stadt befand, sondern am Grunde des Hanges, den Mortensen nun im Bus abwärts fuhr.
    Mortensen bekam mehr als bloß eine Tür zu Gesicht. Denn als er vor dem Haus zu stehen kam, dessen Adresse er auf einem Kärtchen notiert hatte, stellte er fest, daß das Büro des Detektivs Cheng aus einem kleinen, zur Straße hin gelegenen Geschäftslokal bestand. Ein inaktives Leuchtschild, das aus der Fassade herauswuchs, wies darauf hin, daß hier einst ein Schuster sein Geschäft betrieben hatte. Was Mortensen nicht unpassend fand, daß auf einen Schuhmacherladen ein Detektivladen folgte, obwohl er es nicht genau hätte begründen können. Vielleicht ergab sich dies aus dem Anachronismus, der beiden Tätigkeiten anhaftete, wenn man sie genau in einem solchen Lokal betrieb. Auf jeden Fall würde es in Zukunft so sein, daß Mortensen immer wieder auch an Schuhe denken mußte, wenn er an Cheng dachte. An Markus Cheng.
    Die Front des Ladens war eine leicht vorstehende Konstruktion aus dünnen, hölzernen, verschieden großen Fensterrahmen. Die darin eingefaßten Scheiben wirkten zerbrechlicher, als man es gewohnt war. Auch die Tür besaß denselben erkerartigen Charakter. Jede Glasfläche verfügte über eine zweite, dahinterliegende Scheibe. Der rückwärtige Teil aus filigranen Rahmen und Fenstern kragte in das Innere des Raums aus, so daß sich zwischen den Scheiben ein Raum von der Breite zweier Katzenköpfe ergab. Obgleich dieses im Stil des Biedermeiers gefertigte Schaufenster eine Renovierung vertragen hätte, war Mortensen überzeugt, in dieser Stadt noch nie eine derart hübsche, fein gegliederte Ladenfront gesehen zu haben. Sehr wohl in anderen Städten, nicht aber in dieser. Es war wie ein Wunder.
    Zumindest kam es Mortensen als ein gutes Zeichen vor, daß Markus Cheng weder im Hinterzimmer einer dubiosen Kneipe noch in den Räumlichkeiten eines Bürogebäudes residierte, sondern in einem Lokal, das einen solch optischen Genuß darstellte. Zumindest von außen betrachtet. Denn wie es im Inneren aussah, war von der Straße aus nicht zu erkennen, da der Raum unbeleuchtet war, von düsteren Farben beherrscht schien und die Spiegelung in den Scheiben wie ein Vorhang wirkte.
    Obwohl davon überzeugt, daß Chengs Büro geschlossen war, drückte Mortensen die Klinke. Und durfte sich über seinen Irrtum freuen. Die Tür glitt auf, und Mortensen steckte seinen Kopf in das Dunkel des Raums, um für einen Moment wie blind zu sein. Dafür spürte er die Wärme, die gleich einem feuchten, heißen Umschlag gegen sein Gesicht klatschte.
    »Hallo!« sprach Mortensen durch den Umschlag hindurch.
    Da niemand antwortete, trat er ein und bemerkte gerade noch die drei Stufen, auf denen er tiefer in den Raum eindrang.
    Er rieb sich die Augen. Nicht, weil er nicht glauben konnte, was er da sah, sondern weil ihm die Hitze, die hier herrschte, die Tränen in die Augen trieb. Er befreite sich eilig von seinem Schal, seiner Mütze und den Handschuhen und öffnete seine Jacke. Dann betrachtete er die Umgebung, wobei er sich langsam um seine Achse drehte. Der zum Schreibtisch umgewandelte Ladentisch sowie die Vitrinen und Regale stammten wohl noch aus dem Besitz des Schuhmachermeisters, der hier sein Gewerbe zu Grabe getragen hatte. Es roch noch immer nach Schuhen, also nicht bloß nach Leder und Gummi und Wichse, sondern auch nach Füßen, ganz allgemein gesprochen, nach gut wie nach schlecht riechenden Füßen.
    Mortensen trat näher an eine dreitürige, auf Kugelfüßen stehende Glasvitrine heran und betrachtete die Gegenstände, die auf den mit Stoff bespannten Regalen plaziert waren. Zumeist Photographien, fürsorglich gerahmt. Es schien sich kein Prominenter darunter zu befinden, zumindest niemand, den Mortensen erkannt hätte. Dazwischen standen auch mehrere Weingläser, die nicht unbedingt wertvoll aussahen, sowie eine kleine Skulptur, den Heiligen Georg darstellend, der über dem Fragment eines Drachens aufgerichtet war und seinen Speer in eben dieses Fragment donnerte.
    Mortensen zuckte leicht zusammen. Er hatte eine Bewegung bemerkt und sah jetzt hinüber zu der Tür in der Rückwand, welche angelehnt war. Aber daher kam die Bewegung nicht. Vielmehr stammte sie von einem Objekt, das keine zwei Meter von Mortensen entfernt auf einem Kissen lag und sich nun

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