Ein Sturer Hund
Und einen Moment hab’ ich mir auch überlegt … aber, ich finde, es ist so, wie Sie das zuvor in etwa ausgedrückt haben: Einen verlorenen Arm kann man nicht mehr verlieren. Ich sehe Sie an und denke mir: Dieser Mann ist unverwundbar.«
»Nett, daß Sie das denken«, sagte Cheng. »Also, ich würde vorschlagen, daß wir uns gegen acht in Tilanders Bar treffen.«
»Sie wissen, wo die Bar liegt?«
»Ich war schon mal dort. Eigentlich nicht mein Stil, die Leute, die Einrichtung. Aber ich kenne den Mann, der die Drinks mixt. Ein ehemaliger Kunde von mir, wenngleich ein schlechter Zahler. Ich hoffe, Herr Mortensen, daß Sie ein guter Zahler sind.«
»Warum sind Sie nicht ehrlich und sagen, daß Sie hoffen, ich sei als Zahler besser denn als Schriftsteller?«
Cheng war nun wahrhaftig konsterniert. »Aber, ich bitte Sie. Ich kenne Ihre Bücher doch gar nicht.«
»Natürlich«, sagte Mortensen, wie getroffen von der Tatsache, daß die Qualität seiner Schriftstellerei ja gar nicht zur Disposition stehen konnte, wo doch kaum jemand je eines seiner Bücher gelesen hatte. Und natürlich auch Cheng nicht.
Mortensen erhob sich schwerfällig. Seine Arthritis machte sich bemerkbar. Sie kam und ging wie eines von diesen halbwilden Haustieren. Ganz im Unterschied zu Lauscher und April, welche die Ordnung der Zivilisation schätzten und Ausflüge ins Freie auch als solche begriffen, als Ausflüge, und nicht als Rückkehr zu den Wurzeln. Übrigens war der Hinweis auf Lauschers mangelnde Treue kaum fair zu nennen. Er war ein unsentimentaler Hund, dessen Bedürfnis, irgend etwas zu demonstrieren, sich nun mal in Grenzen hielt. Auch die Liebe zu den Menschen. Weshalb er trotz seines rührenden Aussehens immer ein wenig unterkühlt wirkte. Nicht scheu, sondern distanziert. Und damit natürlich unhündisch.
Als Mortensen wieder auf der Straße stand, atmete er tief durch. Die Kälte drang rasch zu seiner verschwitzten Haut vor. Er legte den Schal um, schob die dunkelgraue Wollmütze über seinen breiten Kopf und schlüpfte in die Handschuhe, die ein finnischer Bildhauer in den frühen Sechzigerjahren in Frau von Wiesensteigs Villa vergessen hatte. Vom Standpunkt dieser Handschuhe, wenn man sich auch Handschuhe als wesenhaft vorstellte, mußte es wie eine Befreiung sein, nach vier Jahrzehnten funktionslosen Dahinschrumpfens wieder einen Winter erleben zu dürfen. Und dann gleich einen solchen, der mit russischer Verbissenheit, mit Bergen von Schnee und einem schneidenden Frost die Stadt beherrschte. Und den Passanten das Gefühl gab, mit ihren Gesichtern an die scharfen Kanten einer Kartoffelreibe geraten zu sein.
Porträt eines Toten als lebender Mann
Ich träumte davon, ich würde mir eines Tages
einen Drink kommen lassen und feststellen,
daß er wunderbar schmeckte.
( Die Glasglocke , Sylvia Plath)
Mortensen war erstaunt. Erstaunt über die äußere Erscheinung, mit der sich Cheng in Tilanders Bar präsentierte. In seinem Detektivbüro hatte der für einen Österreicher mittelgroße und für einen Chinesen großwüchsige Cheng einen leicht schluderigen Anblick geboten. Jetzt aber trug er einen dunklen, eleganten Anzug, der ihm eine perfekte Note verlieh.
Es existieren, ob maßgeschneidert oder nicht, immer zwei Arten von Anzügen. Jene Anzüge, die aussehen, als bestünden sie seit Anbeginn der Welt, ohne ihren stofflichen Reiz eingebüßt zu haben. Wogegen also der jeweilige Träger lang nach ihnen kommt, und dessen Ehrgeiz darin besteht, seinen Körper diesem Anzug anzupassen. Und andererseits gibt es die Mehrheit der Anzüge, die als zweite kommen und deren Aufgabe es eigentlich wäre, sich dem Träger anzugleichen. Was natürlich nicht funktioniert. Anzüge sind keine Chamäleons, ganz gleich, wieviel an ihnen herumgeschneidert wird. Ein Anzug paßt, oder er paßt nicht. Und Chengs Anzug paßte nun mal. Derart, daß man nicht umhin kam, den Mann bewundernd anzusehen, wie er da auf eine leichtgewichtige Art an der Theke stand, mit seinem vorhandenen Unterarm gegen die Kante gelehnt, während der Ärmel seines fehlenden Körperstücks so formvollendet in die Anzugstasche mündete, daß eben genau der Eindruck entstand, Markus Cheng habe seinen linken Unterarm einfach nur deshalb verloren, um sich derart makellos in diesen wunderbaren, tiefschwarzen Anzug einzufügen.
Zu seinen Füßen saß der Hund, bewegungslos, triefend und ziemlich verdreckt, wie all die kurzbeinigen Wesen, die verdammt sind, nahe an den Böden
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