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Ein Sturer Hund

Titel: Ein Sturer Hund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Unternehmen eigentlich gescheitert, hatten sich selbst, sicherlich zu Recht, entmündigt.
    Solchen Gedanken nachhängend, blieb Mortensen nichts anderes übrig, als sich einzureden, bei ihm selbst würde die Sache völlig anders liegen. Also keineswegs ins Würdelose abgleiten. Wozu es freilich angebracht schien, einen Detektiv aufzutreiben, der dann doch über ein halbwegs »literarisches« Format verfügte.
    Also ließ Mortensen die großen Anzeigen im Branchenverzeichnis außer acht und zog von den kleineren nur jene in Betracht, die bloß mit einer einzigen Zeile auf sich aufmerksam machten. Von diesen wiederum schied er all jene aus, welche die Titel »Agentur«, »Detektei« oder »Detektive« trugen, als GmbH fungierten oder einen Phantasienamen führten.
    Übrig blieben acht Eintragungen, bei welchen die annoncierenden Detektive sich allein auf ihre Namen beriefen. Neben keinem dieser Familiennamen stand der Vorname vollständig ausgeschrieben. Sieben von ihnen führten selbigen in Form einer Initiale an. Ein einziger Nachname stand völlig isoliert da, nicht einmal von der Andeutung eines Vornamens begleitet: Cheng.
    Einen Moment überlegte Mortensen, ob es sich bei Cheng weniger um einen Personennamen als um eine betriebliche Namensfindung handelte. Doch er verwarf diesen Verdacht. Wofür auch sollte Cheng stehen, außer für einen ganz konkreten Menschen, bei dem es sich wahrscheinlich um einen Chinesen oder eine Chinesin handelte. Zumindest um einen deutschen Bürger chinesischer Abstammung. Wogegen Mortensen nichts hatte. Die Abstammung oder Nationalität war ihm gleichgültig. Hätte dieser Mann oder diese Frau den Namen Kalomiris oder den Namen Stolberg getragen, wäre ihm das genauso recht gewesen.
    Seine Entscheidung beruhte allein auf jener Auslese, die darin bestanden hatte, den Detektiv mit der reduziertesten Anzeige im Branchenverzeichnis auszuwählen. Und das war nun mal diese Person namens Cheng, die im übrigen nur noch mittels einer Adresse im Stuttgarter Westen und einer Telefonnummer ausgewiesen wurde. Doch anrufen wollte Mortensen nicht, sondern sich zunächst einmal das Büro ansehen. Oder eben bloß die Türe, die zu diesem Büro führte. Türen können einiges über die Leute aussagen, die es sich hinter diesen Türen eingerichtet haben. Erst wenn Mortensen Chengs Tür gesehen hatte, wollte er sich entscheiden.
    Er sah auf die Uhr. Sie zeigte halb zwölf. Allerdings schrieb man einen Samstag. Gut möglich, daß Chengs Büro unbesetzt war. Aber um sich eine Tür anzusehen, brauchte es kein besetztes Büro. Mortensen erhob sich, wobei er April vom Schoß beförderte. Die Katze landete in der üblichen federnden Weise auf dem Boden, bewegte sich auf den Kamin zu und sprang auf den Segeltuchbezug des »S«-Stuhls. Sie schenkte Mortensen einen Blick, als bestünde ihre eigentliche Funktion auf dieser Welt in großmütigem Verzeihen. Dann ringelte sie sich ein und schloß die Augen.
    Als Mortensen diesmal das Haus verließ, trug er zwar noch immer keinen Mantel, war jedoch mit festen Lederstiefeln ausgestattet, die er in einem der Schränke der Villa gefunden hatte. Auch verfügte er jetzt über einen Schal, eine Mütze und dicke Wollhandschuhe. Männerkleidung im Haus der Freifrau war nichts Ungewöhnliches. In ihrem bewegten Leben war einiges an Vergessenem, Vertauschtem und nie wieder Abgeholtem zusammengekommen. Und um diese Dinge auszumisten, war sie stets zu faul gewesen. Auch wußte sie ja nicht, wofür etwas einmal gut sein konnte.
    Mortensen war also um einiges besser ausgerüstet als zwei Tage zuvor, während er jetzt auf dem harten Schneeboden hinüber zur Bushaltestelle ging. Die Stadt steckte wie in einem gefrorenen Joghurt, und es war kalt genug, daß sie aus dieser blendenden Weiße nicht so schnell wieder herausfinden würde. Der Himmel war verhangen und besaß jene Farbe, die der Schnee bekommen würde, wenn es zu tauen anfing.
    In der Luft lag etwas wie ein Gesang, ein Gesang aus einer verschlossenen Kiste, gedämpft, wie von fern, so als hätten sich diverse Chöre hinter diversen Schneewächten versammelt, unsichtbar, dennoch hörbar. Man könnte natürlich auch sagen, daß bei jedem Schritt, den Mortensen tat, der Schnee ein ächzendes Geräusch von sich gab, welches – bis es durch die klirrende Luft bei seinen Ohren angekommen war – einen polyphonen Klang entwickelte hatte.
    Auf jeden Fall tat es gut, ordentliche Schuhe anzuhaben. Sowie Hals, Hände und Kopf im

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