Ein Sturer Hund
dieser Welt zu leben. Und die ihre Bäuche über die mit Splitter und Salz zugestreuten verschneiten Straßen ziehen müssen.
Mortensen fühlte sich für einen Moment in der eigenen Haut unbehaglich, beziehungsweise in der eigenen Kleidung, die weit weniger gut in das Ambiente von Tilanders Bar paßte. Was ihn bloß deshalb störte, da er gezwungen war, sich neben den Detektiv an die Theke zu stellen und so einem jeden Dritten als das bedauerliche Gegenstück erscheinen mußte.
»Sie sehen müde aus«, eröffnete Cheng.
»Und Sie sehen aus, als hätten Sie noch heute vor zu heiraten.«
»Gott behüte«, seufzte Cheng. »Die Ehe ist nicht das Ufer, an das ich nochmals gespült werden möchte.«
»Wie oft haben Sie es versucht?« wollte Mortensen wissen.
»Einmal hat mir gereicht. Dabei war meine Frau ein Goldstück. Ist sie noch immer. Es hat mich während unserer Ehejahre immer wieder erstaunt, wie schlecht ich mit dieser großartigen Frau ausgekommen bin. Wäre sie ein Aas gewesen, hätte mich natürlich nichts gewundert. So aber … Es ist deprimierend, einen Menschen großartig zu finden und mit dieser Großartigkeit nichts anzufangen zu können. Allerdings war sie es, die sich hat scheiden lassen. Schlußendlich, denke ich, war ich ihr zu konventionell.«
»Interessant. Das war wohl vor Ihrer Zeit als Detektiv.«
»Keineswegs. Aber mein Beruf hat nichts genutzt. Hat den Eindruck des Konventionellen nicht geschmälert. Was trinken Sie, Herr Mortensen? Ich kann Ihnen einen Engel in der Landschaft empfehlen.«
»Wie bitte?«
»Die Spezialität des Hauses.«
Dabei zeigte Cheng auf das Glas, das er vor sich stehen hatte und in dem sich eine rote, leicht sämige Flüssigkeit befand. In der Mitte der Oberfläche schwamm eine helle Frucht, die von einem Plastikspieß gehalten wurde, der gleich einem Ruder am Glasrand verankert war. Das kleine lichte Objekt im Zentrum war nicht unähnlich einer Lychee, bloß mit einem stärker ins Rosa gehenden Schimmer.
»Die Frucht steht für den Engel«, erläuterte Cheng. »Und das Rote ist die Landschaft. Engel im Schlachtfeld wäre vielleicht die bessere Bezeichnung. Auf jeden Fall schmeckt es betörend.«
»Was schmeckt betörend?«
»Sie fragen nach dem Inhalt? Keine Ahnung. Peter Crivelli, das ist der Mann dort, der diese Drinks herstellt, macht darüber keine Angaben. Offensichtlich vertritt er eine eher alchimistische Richtung in der Kunst der Cocktailzubereitung. Das muß man hinnehmen. Wer will, kann ja spekulieren. Oder ihn beobachten. Ich hingegen würde raten, einfach zu genießen.«
Mortensen nickte.
»Gut so«, sagte Cheng und bestellte bei dem Mann hinter der Bar, der ein vernarbtes Gesicht und einen leidenschaftslosen Ausdruck, einen schlanken Hals und schlanke Finger besaß, einen zweiten Engel in der Landschaft . Der Barkeeper namens Crivelli tat nichts, was hätte erkennen lassen, daß er die Bestellung aufgenommen hatte.
Eine Weile schwieg man, dann fragte Cheng: »Und wie ist das mit Ihnen? Verheiratet? Geschieden? Oder sonst was?«
»Verwitwet. Und zwar lange genug, um damit leben zu können. Und auch lange genug, um es dabei zu belassen.«
»Ich will Sie nicht verhöhnen«, sagte Cheng. »Aber ich denke, verwitwet zu sein, ist die beste Art, eine Partnerschaft zu führen. Einer geht fort, einer bleibt zurück, aber man ist weiterhin ein Paar. Es ist wie eine gute Ehe, in der jeder seine eigene Wohnung besitzt. Doch wer kann sich heutzutage noch zwei Wohnungen leisten?«
»Und da meinen Sie also, ein Mann sollte alles tun, um Witwer zu werden?«
»So hab’ ich das nicht gesagt.«
»Es klang aber, als würden Sie empfehlen, einen Mord zu begehen, nur um sich die Anschaffung einer zweiten Wohnung zu ersparen. Ist doch so. Oder?«
Mortensen hatte am Schluß ungebührlich laut und erregt gesprochen. Einige der Gäste sahen herüber. Was Cheng weit weniger unangenehm war als Mortensen, der jetzt begriff, daß er überzogen reagiert hatte.
Es war aber Cheng, der sagte: »Es tut mir leid. Ich hätte das nicht sagen sollen. Nicht gegenüber einem Mann, der seine Frau verloren hat.«
»Nein, nein. Das geht in Ordnung. Das Problem ist, daß ich tatsächlich glaube, am Tod Paulas schuldig zu sein. Nicht auf eine direkte Weise.«
»Sondern?«
Mortensen erzählte von dem Flugzeugabsturz, dem er sich entzogen hatte. Mittels einer Darmgrippe, die höchstwahrscheinlich eine eingebildete Darmgrippe gewesen war.
»Manchmal glaube ich«, sagte
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